At the Drive-In – Diamanté

von am 23. November 2017 in EP

At the Drive-In – Diamanté

At the Drive-In bescheren ihrem Comebackalbum in•ter a•li•a zum Black Friday einen soliden Appendix: Diamanté verdeutlicht noch einmal anhand dreier bisher liegen gebliebener Songs, wo die Post Hardcore-Derwische von einst aktuell stehen, denkt die Gegebenheiten für die Postpunk-Rückkehrer am Ende aber auch merklich weiter.

Mit ein wenig Abstand hat in•ter a•li•a den Ersteindruck gefestigt, das Cedric Bixler, Omar Rodríguez, Paul Hinojos, Tony Hajjar und Neo-Gitarrist Keeley Davis da zwar ein durchaus (sehr) gutes Genrewerk gelungen ist, allerdings eben nur ein bedingt essentielles, im Discografie-Kontext vordergründig erwartbar enttäuschendes At the Drive-In-Album. Die drogenindizierte jugendliche Energie und Unberechenbarkeit von einst ist eben verschwunden; das Songwriting kann diesen Raum nicht restlos füllen, liefert aber entlang zahlreicher starker Szenen doch über dem Durchschnitt ab.
Eben dort hakt Diamanté nun noch einmal in kompakterer Form (und zeitnahe zur Rückkehr von Jim Wards zu lange ruhendem Flagschiff Sparta sowie einer Positionierung von Bixler im Fall der Vergewaltigungsvorwürfe rund um Scientology-Mitglied Danny Masterson) nach.

Das nach vorne polternde Amid Ethics holt auch durch seinen tollen Bass ab, die Gitarren turnen um den getriebenen Rhythmus, die flotte Dynamik hat etwas wavelastiges und klingt wie eine moderne Variation von In /Casino /Out-Material mit weniger unzerstörbaren Melodien und Hooks. Der Refrain spitzt sich dennoch schmissig und wiederholt sich im Song hinten raus (zu) ergiebig, funktioniert dabei aber wie die zwingenderen Momente von in•ter a•li•a: Amid Ethics geht gleich gut ins Ohr und zündet schnell als potentieller Genre-Hit, hinterlässt aber (ohne viel falsch zu machen) auch ein dezent unbefriedigendes Gefühl, will nicht restlos kicken. Spätestens dann, wenn man die Erwartungshaltungen an die alten At the Drive-In über Bord wirft, macht der Song allerdings effektive Laune.
Ähnlich wächst Despondent at High Noon: Ein schepperndes Schlagzeugspiel bündelt energisch das restliche Instrumentarium, bevor der Songs zu stacksen beginnt, entrückt ins Geisterhaus wummert und schon mal den vollen Stopp probt, nur um danach mit Fuzz und Wahwah aufs Pedal zu treten. Dass es einmal mehr so wirkt, als wäre Cedrics Stimme nicht mehr für derartige Husarenritte geschaffen, wird von der Tatkraft der restlichen Band im wendigen, knackig konzentrierten Songwriting zügig ausgeglichen.

Wo At the Drive-In bereits hier die Sicherheitsgedanken in den Arrangements ein wenig lockern, verlässt Point of Demarkation die Komfortzone von in•ter a•li•a endgültig. Da stülpen sich die Trademarks der Band plötzlich über Versatzstücke aus den Grauzonen des Lounge-Trip Hop und umgarnen eine Downbeat-Installation. Groovig und sinister schielt das Quintett unterkühlt Richtung Massive Attack und findet einen schwer mahlenden, trippig pulsierenden, stakkatohaften Song über melancholischen Klavietropfen, der wie ein Remix wirkt.
Die unbedingt packende Emotionalität und Dringlichkeit, die einen in den Heydays der Band in pure Ekstase versetzte, einen mit ihrer zwingenden Impulsivität ohne Rücksicht auf Verluste in die Mangel nahm – sie ist hier demonstrativ einem intrinsisch brodelndem Hunger gewichen. Mit dem Bild der klassischen At the Drive-In hat dies deswegen auch nur noch äußerst zu tun – und ist trotzdem, oder gerade deswegen, ein Highlight in der neuen Discografie der Band.
Aufgenommen wurden die elf Minuten der drei Songs übrigens diesen Sommer in den seit Bosnian Rainbows (2013) in guter Erinnerung gebliebenen Clouds Hill Studios in Hamburg, gemischt von Johann Scheerer. Der Sound der Platte ist dann auch einer der größten Vorzüge der EP, vor allem die dominante Rhythmusabteilung kommt mit einem wunderbar organischen Druck aus den Boxen. Das eigene Zimmer zerlegen wird wohl trotzdem kaum ein Fan wollen – dass Diamanté nur als auf 4000 Stück limitiertes 10″ Vinyl zu Black Friday erscheint, ist trotzdem schade. Denn wie bereits der reguläre Albumvorgänger ist auch diese Appendix-EP keineswegs frei von Fehlern und scheitert primär (aber nicht ausschließlich) am Schatten der eigenen Vergangenheit. Sie ist allerdings auch der etwas spannendere Ansatzpunkt für das zweite Leben einer Band, deren ursprüngliche Quintessenz sich längst als einmalig und unwiederbringlich erwiesen hat.

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