Arcade Fire – We

von am 23. Mai 2022 in Album

Arcade Fire – We

Nigel Godrich hilft Arcade Fire dabei, nach dem erschreckend blassen Everything Now die ästhetische Balance wiederzufinden und damit zurück in die Spur zu kommen. Das ist sehr erfreulich – aber leider (noch) kein Grund zur bedingungslosen Euphorie.

Denn die Rehabilitation der Kanadier hat auch einige Schönheitsfehler, von denen sich einige so gleich in durchaus repräsentativer Form entlang des eröffnenden – und auch als Mikrokosmos des aktuellen Status Quo herhalten könnenden – Doppels Age of Anxiety I und Age of Anxiety II nachvollziehen lassen: Teil 1 baut Spannungen behutsam auf, dezent arbeitet der Synth hinter dem Klavier und der Akustik-Gitarre – zwei Instrumenten, die dafür sorgen, dass We ein organischeres Flair transportiert als seine beiden Vorgänger, obwohl dem genau genommen gar nicht unbedingt so ist: Reflektor und Everything Now waren eben keine Missverständnis für die Band selbst, der Weg aus der Sackgasse führt Dank Godrich aber über den Blick zurück in den erhebenden Artrock und kammermusikalischen Indie.
Der Opener der Platte schnauft jedenfalls geduldig und installiert seine Drums, Butler schwört vorsichtig und nostalgisch ein, zur Mitte hin übernimmt der Beat und ein 80er Dancefloor flimmert schüchtern, um mit den Impulsen der piepsenden Régine Chassagne sorgsam in die Hymnik zu starren. Allerdings agiert die Band dabei schaumgebremst, wo sie bereits episch plätten hätte können, denn es gibt ohne restlich erreichtes Ziel kein instinktives Mitreißen mehr – das Kollektiv bleibt in einer relativen Pastiche fast analytisch, anstatt den hemmungslosen Exzess zu forcieren.

Arcade Fire machen zum Einstieg gar nicht unbedingt etwas falsch, sättigen aber aufgrund der viel zu einfach zugänglichen, reibungslos gut gelaunten  Poppigkeit auch keineswegs, denn es fehlt der Pfeffer, der das letzten Quäntchen Genialität provoziert hätte, um aus (sehr) guten auch endlich wieder herausragende Nummern zu machen.
Wo das auf zwei Geschwindigkeiten gepolte Age of Anxiety I eigentlich bereits wie zwei Parts eines Songs anmutet, tänzelt Age of Anxiety II weiter entfernt (also das natürlich gewachsene Conclusio verpassend) mit Disco-Flair und im spacigen Ambiente. Viele textliche Wiederholungen sind ein Sinnbild dafür, warum Arcade Fire optisch sofort an Bord holen, auf inhaltlicher Ebene aber nicht an die Substanz heranreichen, mit der sie vor den 10er-Jahren emotional so bedingungslos aufwühlend zu packen wussten. Selbst mit der bittersüßen Passage von Régine erzeugt die Gruppe nämlich keine Katharsis mehr, sondern bleibt auf Nummer sicher gehend stets in der ungefährlichen Komfortzone. Mehr Reibung wäre hier durchaus ein kaum aufzuwiegender Katalysator gewesen.
Und trotz dieser sich enervierend durch den ganzen Fluss der Platte ziehenden Mankos konsumiert sich We doch deutlich wohlwollender als frustrierend. Denn wo die Inszenierung der kompositionellen Masse manchmal eher nach Oberflächenkosmetik denn nach tiefenwirksamer Frischzellenkur anmutet, besticht das Songwriting dann eben einfach.

Die melancholische Zurücknahme End of The Empire I-III blüht – abermals von Klavier und Gitarre kommend – orchestral zum David Bowie-Tribut auf, das in der Praxis die Gänsehaut verpasst, die da in der Theorie sein müsste. Die gefällige Schönheit anstelle der überwältigenden Majestät nimmt man jedoch gerne mit – immerhin gibt einem der Klimax alles Vertrauen in die Band zurück, derweil es ja ohnedies ein gutes Zeichen ist, dass man Arcade Fire wieder an ihren Großtaten zu messen beginnt. Der schön unbeschwerte Ohrwurm Unconditional I (Lookout Kid) führt seine locker und luftige Akustikgitarre am feiernden Folk bis zur sinfonischen Geste im Gemeinschaftgefühl, und das (ein bisschen schlagerhafte) The Lightning I zeigt für The Lightning II den altbekannten Kniff mit Tritt aufs Gaspedal: früher hätten Arcade Fire diesen ohne die Suite-Brücke durchgezogen (schon Prelude zeigt als unnötiges Interlude aber die gestelzte Überhöhung der konzeptionellen Herangehensweise), doch was zählt ist, dass The Lightning II fein enthusiastisch treibend an Springsteen vorbeischrammend in den Heartland Rock bimmelt – leider zu abrupt abgebremst.

End of the Empire IV (Sagittarius A*) krankt an seinen plakativen Lyrics, die sich wenig chiffriert mit dem rezensionstechnischen Scheitern des fünften Studioalbums auseinandersetzen („We unsubscribe (unsubscribe)/ Fuck season five (unsubscribe)“), doch auch der in Aussicht gestellte Höhepunkt fehlt, weil sich Wins Litanei nach einer hängen gebliebenen Schallplatte anfühlt, doch nur der obligatorische Regine-Song Unconditional II (Race and Religion) erweist sich als okayer Elektropop als einzige Schwachstelle, indem er die restliche Kurzweiligkeit der Platte zu beliebig untergräbt – bis zum Einsatz von Peter Gabriel, der Unconditional II (Race and Religion) ab dem finalen Call and Response-Part adelt (wenngleich die Band das prominente Feature innerhalb einer viel zu knapp bemessener Zeit wie eine Pflichtübung verschenkt).
Wenn der Closer und Titelsong als friedliche Ballade regelrecht unscheinbar in das offene Ambient-Ende, dann mag We in Summe vielleicht in ein latent unterwältigendes Comeback geworden, aber auch ein befriedigendes: Alleine dass diese Kurskorrektur offenbar keines auslaugenden Kraftaktes bedurfte, lässt einen plötzlich wieder mit Vorfreude auf die Zukunft von Arcade Fire blicken – die Begeisterung kommt dann ja vielleicht beim nächsten mal wieder.

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