Arcade Fire – Everything Now

by on 30. Juli 2017 in Album

Arcade Fire – Everything Now

Mit Everything Now übersetzen Arcade Fire eine zynisch-pessimistische Sicht auf eine rastlose Welt im digitalen Zeitalter in die ausgelassen tanzende Leichtigkeit des Disco-Seins – an der nicht immer gehaltvoll und geschmacksicher auftretenden Schnittstelle aus Ironie und Banalität.

Man war ja vorgewarnt, dass Arcade Fire kein Problem mehr damit haben, ihr bisher stets so andächtig aufgehendes Songwriting nunmehr in der Spannweite aus New Wave-Fernsehgarten und Disco-Stadl zu inszenieren. Schon der vorausgeschickte Titelsong-Hit bediente sich bereits ganz ungeniert mit Schlager-tauglichen Piano, stampfendem Beat samt Pan-Flöten und penetranten Mitsingpart bei ABBA, Simple Minds und den 80ern generell, während das linkische Signs of Life Win Butler mit billigem Tanzflächen-Ryhtmus und aufdringlichen Stimmungs-Geklatsche in das Licht des schlacksigen Kirmes-Rapper rückte. Die mit funky Keyboard stacksende Dancefloor-Geschmeidigkeit Creature Comfort ließ dagegen im zwingenden Groove smart die Hüften wackeln: „God, make me famous/ If you can’t just make it painless/Just make it painless
Dieser konsum- und sozialkritischen Wohlfühlzone unter der Glitzerkugel sind Arcade Fire nun beinahe zur Gänze verfallen, die Kommerzialisierung des Sounds von Reflektor (2013) als logische Entwicklung stampft, kleistert und blinkt – regelrecht käsig und generisch, vor allem aber genüsslich. Everything Now nimmt sich dieses Recht zu musikalischer Banalität, weil die Intention dahinter ja deklariert augenzwinkernd, ironisch anprangernd und giftig werkt: „And every film that you’ve ever seen/ Fills the spaces up in your dreams/…/ Every song that I’ve ever heard/ Is playing at the same time, it’s absurd/ And it reminds me, we’ve got everything now/ We turn the speakers up till they break/ ‚Cause every time you smile it’s a fake!

Am Ende stellt sich allerdings die Frage, wieviel diese vermeintliche Schläue tatsächlich wert ist, wenn die mitunter bis zum Erbrechen repetitiven (niemals aber derartig stumpf und altbacken wie Placebo ihre Internet-Phobie auslebenden) Text-Plattitüden mit malträtierenden Spielereien über einer Musik die Brechstange ansetzen, die ohne Netz und doppelten Boden liebgewonnene Trademarks in die bornierte Plakativität steuert.
Denn wo Arcade Fire die lyrische Perspektive vom Persönlichen auf das Universelle verschoben haben, hat sich das grundlegende Songwriting der Band gar nicht unbedingt radikal verändert – es wirkt nur aufgrund des Outfits der glatten Instrumentierung und Inszenierung so – obwohl die Melodien, Arrangements und Hooks ohnedies nicht ansatzweise die Klasse früherer Werke erreichen. Latent in die Auslage gestellte Neon-Coolness dominiert nun die erhebende Überschwänglichkeit der euphorisierenden Anfangsphase. Leichter zugänglich bauen die Kanadier auf eine simple Oberflächlichkeit, die bisweilen genauso übersättigend zu Werke geht, wie die Marketingkampagne rund um Everything Now, und dabei gar nicht erst vorgibt, unter seiner unmittelbar hängen bleibenden Gefälligkeit vielschichtigeres Entwicklungspotenzial zu besitzen.
Der angeborene Hang der Band zur Dramatik und Hymnik wirkt in diesem Soundbild deswegen auch eher wie leere Gesten im schicken Design. So stylisch und angenehm konsumierbar die Musik der Kanadier damit auch (mehr denn je) ist, so selten packt sie in dieser Erscheinungsform noch auf emotionaler Ebene: Arcade Fire mögen sich Gedanken machen und hedonistisch feiern, berühren aber kaum noch, sondern zelebrieren ihre gefällige Unterhaltungsmusik abseits der konterkarierenden Lyrics ohne herausfordernden Anspruch; servieren ihre Songs neongrell ausgeleuchtet am Silbertablett, aber ohne nachhaltiges Ass im Ärmel.

Durchaus überraschend ist allerdings, dass dieser Ansatz nun im Albumkontext doch merklich besser (und zudem weniger gleichförmig als der MO ihres ermüdenden Live-Zirkuses) funktioniert, als erwartet. Die an den Beginn gestellten Singles nehmen entgegenkommend an der Hand, man hat sich längst an die nett schunkelnden Ohrwürmer gewöhnt – die Eingangsphase von Everything Now macht entlang seiner hartnäckig hängen bleibender Hits durchwegs Laune.
Die kurzweiligen 47 Minuten laufen in Summe so unverbindlich wie unbeschwert durch, wirken durch den weitläufigen Verzicht auf überhöhende Gesten nicht unauthentisch und erzeugen gerade hinten raus absolut starke Szenen: Das wunderbar piepsige Disco-Schmankerl Electric Blue tanzt ausgelassen im Neonlicht von Meister Bowie und seinem China Girl, das immer dringlicher und dringlicher werdende, vom Falsett in die drückende Nachdenklichkeit kippende ABBA-Zitat Put Your Money on Me pulsiert mit pumpendem Bass und viel Grandezza über förmlich verfliegende 6 Minuten in einen friedlichen Traum von Hotline Miami. Und das überragende We Don’t Deserve Love begeistert gerade dadurch, dass Arcade Fire hier mit einer fast schon kindlichen Naivität das einzige Mal mit Understatement ein fesselndes Gefühl der melancholischen Fragilität erzeugen.
Alleine dank dieser grandiosen Momente ist selbst eine ernüchternd schwache Arcade Fire Platte eben doch wieder zumindest ein gutes Sammelsurium über einem Gros der Konkurrenz – vielleicht sogar genau jenes schillernde Pop-Album geworden, an dem die Killers die vergangenen Jahre über stets gescheitert sind. Und doch wäre mehr drinnen gewesen.

Wenn zwischen den stimmungsvollen Polen des kreisförmigen Rahmens aus dem symphonisch schwelgenden  und Everything Now (Continued) die überzeugenden Kompositionen einen das Formatradio zwar nicht unterwandernden, aber in Hochglanz-Qualität bedienenden Reiz ausstrahlen, ist das Problem von Everything Now aber nicht alleine das kantenlose Auftreten einer Inszenierung, die zu Gunsten der massentauglichen Verdaulichkeit permanent mit einer leicht zu durchschauenden Eindimensional liebäugelt, sondern auch jene Phasen, die unter dem feiernden Eskapismus-Outfit im Songwriting keinerlei Substanz erkennen lassen.
Wo Peter Pan so als mäandernde Elektro-Fortsetzung von Here Comes the Night Time mit seinem flachen Text kämpft („Be my Wendy, I’ll be your Peter Pan/ Come on baby, take my hand/ We can walk if we don’t feel like flying/ We can live, I don’t feel like dying/ Be my Wendy, I’ll be your Peter Pan/ Come on baby, you’ve got no plans„), und wie das uninspiriert seine Funk-Ansätze als entspannte Coolness verkaufende Good God Damn als Schwachstellen zumindest nicht allzu negativ aus der Reihe tanzen, beschämt Chemistry als Karambolage aus flachem Ententanz, stumpfer Raggae-Polka und billigem Hardrock-Riff als erster vollkommener Totalausfall der Band dann aber doch. Zumal sich Everything Now ohnedies gerade im unausgegorenen Mittelteil über das Doppel aus Infinite Content (eine geistlos aber energisch nach vorne gehende Punk’n’Roll Übung im Gaspedal-Stil von Month of May) und Infinite_Content (eine betörend nostalgische Folk-Elegie ohne Ziel) selbst torpediert. Das sind eher minimale, fragmentarische Ideen als schlüssige Songs – über Gebühr wiedergekaut und ausgedehnt bilden sie im Herzen der Platte eine absolute Schwächephase, die dazu beiträgt, dass das im großen Ganzen schlichtweg ratlos hinterlässt.
Steigt man angesichts der uneinholbaren Klasse der vorangegangenen vier Studioalben der Band härter mit Everything Now ins Gericht, als man müsste – oder spielt die bisherige Discografie von Arcade Fire der Platte doch vielmehr eher zusätzliche Sympathiepunkte ein, die diese Bagatelle eigentlich gar nicht verdient hätten? Die folgende Bewertung reklamiert vorerst zweiteren Punkt für sich. Noch mehr als schon bei Reflektor, kann aber wohl nur ein wenig nötiger Abstand diese Fragen beantworten.

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  • Arcade Fire - We - HeavyPop.at - […] Godrich hilft Arcade Fire dabei, nach dem erschreckend blassen Everything Now die ästhetische Balance wiederzufinden und damit zurück in…

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