Anti-Flag – 20/20 Vision

von am 30. Januar 2020 in Album

Anti-Flag – 20/20 Vision

Das kurzsichtige 20/20 Vision wirft unwillentlich die Frage auf, ob Präsident Trump im Amt wirklich im Umkehrschluss gute Zeiten für den Punk bedeuten muß. Anti-Flag verstehen den Umstand jedenfalls als Steilvorlage für leere Phrasen und gewohnt gefällige Ohrwürmer.

Ja sicher funktionieren die Pittsburgher auf ihrem zwölften Studioalbum als eingängiges Fließband, das alle Songs wieder so zugänglich wie schnell vergessen um griffige Melodien treibt, altgediente Bausteine geradlinig aus dem Formelkatalog zieht, und in einfach gehaltener Weise kurzweilig zu unterhalten versteht – insofern hat sich seit Alben wie The General Strike oder American Spring freilich nichts geändert.
Das für den Chorus die Power Chords mit Saft versorgende Hate Conquers All ist nach seinem einleitenden Trump-Zitat etwa fett auf Hochglanz getrimmtes Billy Talent-Methadon, das schon im Opener die Praxis etabliert, jeden Refrain in der simplen Strukturen bis zum Erbrechen zu wiederholen – und vorsichtshalber trotzdem noch ein Arena-taugliches Finale aufzulöten. It Went Off Like A Bomb bietet dann die Art stromlinienförmigen Punkrock, für den sich Hauptbands wie Rise Against an Anti-Flag wenden, während der flotte Singalong von Christian Nationalist den in den Pop taucht und live Spaß machen sollte – auf Platte hört er erst einmal einfach nicht mehr auf, wo auch Don’t Let The Bastards Get You Down seinen infektiös abholenden Rancid-in-Harmlos-Bass-Drive an der Grenze zur nervenden Übersättigung schrammen lässt. Der Titelsong täuscht mit geschrammelten Gitarrenbeginn den Tribut an Green Day an, bevor es sich die Band im Midtempo gemütlich macht und der stampfende Wave-Mittelteil in The Disease ist eine willkommene Nuance in der vorhersehbaren Gleichförmigkeit, auch wenn sie unangenehm an The Fever 333 denken lässt.

Überhaupt kommt hier keine versierte Routine ohne Ambivalenz aus: You Make Me Sick deutet fälschlicherweise kurz Hinterbeine und Krallen an – nur um sich dann aber in überkandidelt ausgelassenen „Wooohooo“-Pop aufzublasen, während das nett zurückgenommen schunkelnde Un-American mit seinen „Ohohoo“-Arrangements ebenso demonstrativ zur Plattitüde neigt und Resistance Frequencies mit Bläsern den Ska-Deckel aufmacht, um so bemüht eine lockere Stimmung erzeugen zu wollen. Unbreakable hätte gar durchaus etwas erhebendes in seinem unkomplizierten Rock’n’Rock-Spirit, wenn sich die viel zu plakativ ausgereizte Nummer nicht so vieler Tropen bedienen würde.
Und tatsächlich könnte man all dem, dieser Wagenladung an Hooks und Harmonien, weitaus wohlwollender begegnen, würde nicht jede einzelne davon den Eindruck erwecken, sie in minimaler Variation schon so zahlreiche Male (besser) von Anti-Flag vorgekaut bekommen zu haben, wo die ordentlich gemachten Genre-Beiläufigkeiten in der ecken-und-kantenlosen Inszenierung dem Hang dümpelnden Langeweile nachgeben. Nachzuhören ist dies vor allem, wenn einzig und alleine das druckvolle A Nation Sleeps ein bisschen Angriffslust zeigt, mit schnellem Tempo und Hörte zwar nicht aus der allgemeinen Glätte ausbricht, aber eben kurz ungeschliffenere Zähne und zumindest die richtige Attitüde zeigt.

20/20 Vision mag also runtergehen wie Öl, das Schaffen der Band mit praktisch ausnahmslosen Ohrwürmern ergänzen, entwickelt sich aber zu einem kaum der Rede wert seienden Ärgernis. Weil es mittlerweile anstrengend ist, mit welcher stumpfen Mentalität Anti-Flag diesmal bereits bei der Artwork-Wahl (wenn hier auch in guter Gesellschaft) mit dem Vorschlaghammer ins Haus fallen, sich über die immer gleichen Ideen, Motive und Metaphern aber auf kreativer – und mehr als alles andere: intellektueller! – Ebene längst erschöpft haben.
20/20 Vision will keinerlei Herausforderung, funktioniert auf Wirtshausniveau, indem es komplexe Themen mit wiedergekäuten Schlagwörtern aufkocht, keine Lösungen anbietet oder gar sucht. Die versammelten 31 Minuten bearbeiten keine konkreten Punkte, sondern nur vage Stehsätze und lose Beiß(l)reflexe, bleiben nicht einmal seicht an der Oberfläche, sondern setzen sich mit Feinden entlang billiger Bilder auseinander. Das Bestreben jede proklamierte Wut so bekömmlich und catchy wie möglich anzugehen funktioniert deswegen ohne jede Tiefe der Substanz nur in einer austauschbaren Blase der Bekömmlichkeit mit Scheuklappen. Als gefühlt ausnahmslos am etablierten Marken- und Zielgruppenkonstrukt ausgerichtetes Produkt geht 20/20 Vision keinen Millimeter – lyrisch oder musikalisch – dorthin, wo es wehtut, wo es auch abseits eines partytauglichen Pseudo-Protestes nötig wäre. Niemand erwartet vom Quartett, dass sie Propagandhi beerben. Dass Anti-Flag sich selbst über die Jahre alle Zähne gezogen haben ist ja kein Geheimnis – dass sie mittlerweile aber wirken, als würden sie ohne Bildung und mit schmissigen Platzpatronen in den Kampf ziehen, ist dann aber doch verdammt enervierend.

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