Animal Collective – Centipede Hz
Wenn man am Gipfel steht, kann man entweder dort verweilen, oder den nächsten in Angriff nehmen. Nach dem triumphalen ‚Merriweather Post Pavilion‚ tun Animal Collective genau das und entdecken dabei rockige Steilhänge in ihren Popexperimenten.
Das durch die Decke gehende, die Popvorlieben und Beach Boys-Gesten von Panda Bear Noah Lennox so fulminant in den gesponnenen Hippie-Freak-Experimental-Whatever-Mix des Brooklyner Vorzeigekollektives einbindende ‚Merriweather Post Pavilion‚ zu übertrumpfen schien selbst abseits der aufgeschichteten Erwartungshaltungen schwer möglich. Das sich ohnedies niemals wiederholen wollenden Animal Collective umklettert diese Herausforderung dann auch auf die vielleicht geschickteste Art und Weise: ‚Centipede Hz‚ verlässt sich konsequent auf die erarbeiteten, ureigenen Vorzüge, mit blickenden Synthesizern und verschachtetelten Samples und dem ganzen Weirde-Brimborium drumherum – lässt Vergleiche mit dem Konsensalbum von 2009 aber paradoxerweise und irgendwie doch außen vor, versucht sich stattdessen – natürlich – in Veränderungen im Klangbild.
Die mit dem (wieder einmal) zurückkehrenden Gitarristen Deacon abermals zum Quartett gewachsene, hartnäckig auf die Live-Bühne starrende Band erinnert sich daran, dass sie mit ‚Feels‚ schon einmal etwas ähnliches wie Folkpop gespielt hat, ist jedoch wieder stärker im Experiment und auch im Noise von ‚Here Comes the Indian‚ verankert, wendet sich aber noch mehr dem im spätesten Ursprungspunkt ihres jetzigen Sounds im Jahr 2007 zu, anstatt ‚Strawberry Jam‘ ist es diesmal aber ‚Applesauce‘. ‚Centipede Hz‚ liefert dazu mehr Erklärung als ‚Tomboy‚, warum Noah Lennox in letzter Zeit so gerne von seiner Bewunderung für White Stripes, Nirvana und Co. erzählt: Panda Bear fühlt sich wieder vordergründig hinter dem Schlagwerk wohl und macht gleich im sich in die Ekstase steigernden ‚Moonjock‘ („And then we ran out again and then we ran out again, we ran it out, ran it out!„) klar dass dieses auch ordentlich Wums und Schmackes haben kann. Animal Collective sind immer noch Animal Collective, natürlich, aber wenn sie ihre Köpfe mal nicht in anderen Sphären haben und die Beine auf den Boden bekommen – und das passiert auf ‚Centipede Hz‘ auf eigentümliche Art und Weise verhältnismäßig oft – kann das tatsächlich ziemlich krachen.
Dass Panda Bear und Kollegen mit tausenden Effektanliegen und Soundwünschen Co-Produzent Ben H. Allen III in den tüftelnden Wahnsinn getrieben hat, macht es nicht unwahrer, von ‚Centipede Hz‚ als dem verhinderten Rockalbum der Band zu sprechen. Weil Animal Collective ihre Melodien nicht mehr vordergründig am 60s Strand von Lennox finden, sondern stärker im Sound von Avey Tare, der ‚Centipede Hz‚ als Leitwolf durch Pirouetten schlagende Soundflächen über treibenden Beats und Bits führt, schon zum Eingang umständlich aber effektiv zahlreiche Salti ohne Netz und doppelten Boden in die Gehörgänge springt. Das über vier Parts innereinaderfließende Werk gönnt sich so vor allem zu Beginn (und eigentlich selbst danach und zu kaum einem Zeitpunkt auf ‚Centipede Hz‚ nicht) verdammt spinnerte, klassische und trotzdem rundum neu geordnete Animal Collective Hits. ‚Today’s Supernatural‚ steht da mit seinem energischen Refrain ganz an vorderster Front, ‚Applesauce‚ grapscht nach Aufmerksamkeit und keiner weiß warum („I eat a mango and I’m feeling like a little honey can roll„). ‚Rosie Oh‚ bremst schon wohlweißlich und gemütlich die hyperaktive, ausgelassene Euphoriesause, ist wie ‚Father Time‚ später entspannt plätschernder Weirdo-Pop per Definition und kündigt denn im Mittelteil folgenden, exzessiven Part schon mal an, denn da darf der Affenzirkus auch mal hemmungslos ausfransen.
Das psychedelisch dümpelnde, unschlüssig bleibende ‚New Town Burnout‚ und vor allem die ausladend aufgehende Jamsause ‚Monkey Riches‚ leisten ihren Beitrag dazu, vom längsten Animal Collective Album seit dem Debüt umgarnt zu werden. Immer wieder lassen Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deakin durchscheinen, was für unkonventionell funktionierende Hooks und aufsehenerregende Melodien sie doch schreiben können, schlagen aber noch lieber unzählige Haken drumherum und stürzen die Szenarien ins wohlüberlegte ADHS-Chaos. Nicht jede der für drei Platten reichenden Ideen zündet, aber selbst die wenigen Schwachstellen sind fesselnd und anstrengend und staunend anzuhören, Animal Collective pflastern den nächsten verschrobenen Trip im intensiven Soundgewand mit genüg Stützhilfen, um nicht das Gleichgewicht oder die Orientierung zu verlieren. Den hippen New Yorker Kritiker-, Fan- und Szenelieblingen gelingt die Überwindung der Bürde ‚Merriweather Post Pavilion‚ in gewisser Weise sogar durch ein bisschen Understatement: Mehr kommt hier nicht von Mehr , der Rest taucht unter der Erwartungshaltung hindurch, allerdings mit derartig langem Atem, dass die Sache nicht nur spannend bleibt, sondern Animal Collective unweit von ‚Merriweather Post Pavilion‚ schon das nächste Gipfelkreuz aufzustellen beginnen könnten.
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