And So I Watch You From Afar – Jettison

by on 29. April 2022 in Album

And So I Watch You From Afar – Jettison

Mit Emma Ruth Rundle und Clutch-Frotmann Neil Fallon als Erzähler sowie dem Arco String Quartet als zusätzliche Sound-Facette kreieren And So I Watch You From Afar fünf Jahre nach The Endless Shimmering endlich ihr sechstes Studioalbum: Jettison.

Ambivalente Ambitionen: Tatsächlich ist Jettison ein multimediales Konzeptwerk geworden, das mit entsprechenden Visuals von Künstler Sam Wiehl den cinematographischen Kopfkino-Soundtrack für einen imaginären Film entwickeln möchte.
Stilistisch gehen And So I Watch You From Afar dafür allerdings nicht nur einen Schritt zurück, sondern einen zur Seite und hinein in die Masse der Szene – nicht generischer oder austauschbarer, aber doch weniger speziell und charakteristisch hyperaktiv klingt das gezügelte Quartett nun schon.
Eine Entwicklung, die per se enttäuschend ist – letztendlich aber doch auch zielführend überzeugt: Nachdem Heirs an (dem an dieser Stelle doch überbewerteten) All Hail Bright Futures (2013) scheiterte, und The Endless Shimmering an der Absicht, an die bockstarken ersten beiden Alben der Band anzuschließen, findet Jettison den Rahmen, um der zuletzt zu wenig Entwicklungen forcierenden Band nötige Impulse zu geben

In I Dive Pt 1 oszillieren die Gitarren jedenfalls eine Quasi-Wiedergeburt zelebrierend mit der Ambition eines frisch anbrechenden Tages zu friedlichem Streichern und dem nachdenklichen, fast lethargisch rezitierten Sinnieren von Rundle, während es wirkt, als würde man schwerelos durch ein Sonnensystem treiben, das nach und nach das wehende Gefühl eines neuen Morgens kreiert. II Dive Pt 2 bekommt durch seine Drums einen beschwingten Drive, die Streicher beginnen Hand in Hand mit den energischer werdenden Gitarren zu jubilieren, flanieren mit naiver Unbeschwertheit zu schemenhaften Chören. Flimmernd verdichtend erklimmen die Saiten erst eine Höhenluft, stellen sich dann aber in den Dienst der krautig pummelnden Verträumtheit, bevor III Lung plötzlich den Lite‘schen Math zu zirkeln beginnt und IV In the Air der so vertraute Fallon zum grummelnden Bass und funky Gerüst erzählt. Die wiegende Aufbruchstimmung lässt sich in die betörenden orchestralen Arrangements fallen, die so zwar im gesamten Verlauf stets präsent sind, aber immer wieder, wie auch hier, hinter die gelöste Spielfreude des Basis-Instrumentariums treten. Die hoffnungsvoll den Blick über den Horizont lenkende Euphorie ist dagegen so typisch für And So I Watch You From Afar – weswegen der dunkel abbremsende Twist der Nummer umso überraschender ist.

Der Herzstück der Platte will aber eben Luft holen: V Hold taucht behutsam funkelt und vorsichtig pulsierend an, sorgsam poltern die gedämpften Drums unter dem plingenden Gitarrenspiel, melancholisch und schön – die Ruhe vor dem Sturm. Als klassischerer Postrock schrubbt VI Submerge mit scheppernden Drums und dramatischen Streichern hymnisch, tackert Richtung stacheligem Noiserock, der dann die Einkehr sucht, um das furiose Finale der Platte einzuleiten. VII Emerge rockt impulsiver und VIII Jettison wirbelt mit erhebender sinfonischer Grandezza, euphorisch stampfend: Da sind Indierock-Endorphine, ein glückseliger Rausch im steten Grinsen, die Band genießt es, sich exzessiver gehen zu lassen – und steckt mit dieser originären Energie an, die auf die Tugenden der Nordiren baut.
Die Unterteilung in neun Segmente ist spätestens hier, im großen Klimax, im Grunde nur theoretischer Natur. Die gesamte Platte fließt als ein überlanges Stück ineinander, entwickelt ein ganzheitliches, stringentes Narrativ: diesen Score, der die optimistischen Tendenzen der Band in einen überlangen Spannungsbogen verpackt, wird man praktisch nur am Stück hören – in seine einzelnen Teile zerlegt will er auch nur bedingt funktionieren.
Dass der Sound in einem merklich konventionelleren Gewand keine ikonischen Szenen oder überwältigende Szenen kreiert, fällt dazu nur bedingt ins Gewicht: Wenn And So I Watch You From Afar am Ende im Ambient baden und mit IX A.D. Poet dem orchestraler Ausklang so versöhnlich auslegen, dann hat sich der Weg auch ohne ausgelöste Begeisterung gelohnt.

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