American Football – American Football (LP3)
Die Rückkehr der Emo-Legende American Football war mit ihrem zweiten, natürlich selbstbetitelten Album vor drei Jahren doch eine kleine Enttäuschung. Aber wohl auch notwendig, um für (LP3) neue Perspektiven entwicklen zu können.
Mike Kinsella ist sich wohl rückblickend nicht ganz sicher, ob das auf Nummer Sicher in der Komfortzone gehende (LP2) „das Reunion-Album bleibt, auf dem wir selber noch nicht genau wussten wohin wir wollten“, oder durch die bedingungslose Selbstreferenz erst Altlasten abarbeiten musste, die sich in der 19 Jährigen Auszeit von American Football angestaut hatten.
„Für uns war klar, dass unser zweites Album auf jeden Fall noch in einer Beziehung oder besser gesagt, Verbindung zum Debüt stehen würde. Tatsächlich fühlten wir uns am Ende der Produktion zur zweiten Platte auch erleichtert. So als hätten wir ein Kapitel abgeschlossen, dass wir damals als Zwanzigjährige begonnen haben. Aus diesem Grund handelten die beiden Alben auch von ähnlichen Themen. So konnten wir Platz für neue Sachen machen und quasi noch mal neu starten.
“ Zwischen diesen Rückschlüssen ist Album Nummer Drei nun aber tatsächlich ein adäquater Reboot für American Football geworden, wie es Kinsella weiter umreißt: „Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass American Football (LP3) nach einer ganz anderen, einer neuen Band klingt.“
Stimmt so zwar nicht ganz: American Football sind immer noch eindeutig als American Football zu erkennen, sie haben sich ihren charakteristischen Kern behalten. Doch Mastermind Kinsella und seine Band verorten ihren mit Math-Anleihen spielenden Midwest-Emo-Sound nun weiter denn je im Postrock und Dreampop, im Shoegaze und sanften Indie. (LP3) ist atmosphärischer und runder als seine Vorgänger. Weiter, offener, auch glatter und professioneller, weniger ungestüm und kantig. Zugänglich fließen um sich selbst kreisende Kompositionen durch den gewachsenen Raum, eine reifere Ästhetik. Die melancholische Harmonien funkeln nun in erhebender Schönheit zum Hoffnungsschimmer, traurig und herzlich und warm und weich; gemütlich, aber nicht faul; romantisch, aber nur selten sentimental.
Und natürlich sind da gleich drei fantastische Gastsängerinnen, die das Spektrum zusätzlich erweitern und prägen. Für das kontemplative Perlen Every Wave to Ever Rise singt die Frankokanadierin Elizabeth Powell (Land of Talk) als zusätzliche ätherische Klangfarbe, streichelt eine Nummer, die ihre Schattierungen ändert, sucht und sinniert. I Can’t Feel You beginnt dagegen, als würden American Football zu Bohren schwelgen, entwickelt dann aber einen vergleichsweise direkten Zug, ist entschleunigt getrieben, groovt zu instrumental beeindruckend dicht verbundener Strukturen. Dass die Stimme von Rachel Goswell (Slowdive, Minor Victories) eher unspektakulär das Gefüge stützt, ist symptomatisch für das Wesen der Platte.
Über allem steht jedoch ausgerechnet Uncomfortably Numb, in dem Kinsella mit Paramore-Stimme Hayley Williams in Verbindung mit einer Melodie zum Niederknien und lange nachhallenden Texten („I blamed my father in my youth/ Now as a father, I blame the booze“) so unsagbar wundervoll oszillierend im puren Dienste des Dongs miteinander interagieren. Das ist gleichzeitig der vielleicht größte Hit, den die Band je produziert hat, kommt dabei aber sogar an die Magie der ersten Platte heran. Selten hat einer Band die Entwicklung hin zur mehr Bekömmlichkeit derart gut getan, ist eine gestiegene Gefälligkeit ein derart natürlich und ungezwungener Evolutionsprozess.
Die typisch nur acht Songs umfassende, aber spielzeittechnisch ausgebreitete Trackiste funktioniert so bisweilen wie ein absolut angenehm zur Ruhe gekommener alter Bekannter – ein bisschen das winterliche Pendant zu Reverie Lagoon: Music for Escapism Only (2014). Die Gitarren plätschern im allerbesten Sinne, die Drums klingen satter und organisch-erdig.
(LP3) hat eine unaufdringliche Eleganz und angenehme subversive Tiefenwirkung – das surreal verschwommene Albumcover in seiner elegischen Langzeitbelichtung fängt die formgelösten Konturen als unwirklich aus der Zeit gefallenes Stimmungsbild ein. „Funktionierten die ersten beiden LPs noch am besten, wenn man sie sich allein und über Kopfhörer angehört hat, so wirken die neuen Songs dann fantastisch, wenn du sie dir laut und unterwegs anhörst. Das sollte sich auch im Artwork widerspiegeln.“
Dabei gibt es in der Klangwelt von (LP3) so viele akribisch gezirkelte Details zu entdecken, in die man sich erst in der Isolation wirklich restlos verlieren kann.
Im brillanten Silhouettes bimmelt ein Glockenspiel verträumt im Wind verträumt, die restliche Band steigt erst spät gedankenverloren und präzise an, folgt polyrhythmisch liebliche Texturen und akzentuiert gesponnene Gitarren. Der Opener atmet hallend im Ambient durch, Ambient, betrachtet Lavalampen und vorsichtige Streicher, vermengt seine Ingredienzien zu einem friedlichen Halluzinogen, das sich exemplarisch für das Songwriting nirgendwohin entwickelt, sondern sich in seine Klangwelt vertieft, die Nuancen nur minimal variiert.
Heir Apparent hat also etwa beinahe jazzig-frickelndes in seinem liebenswürdig-munter ausbrechenden Rumpeln, durch Flöten und Piano auch ein folkiges Ambiente, bevor sich das Stück letztendlich in einen liebenswürdigen Kinderchor legt. Doom in Full Bloom wiegt sich zu der entfernten Patent-Trompete, deckt sich mit sich selbst in absoluten Frieden zu, blüht unscheinbar auf, verliert sich dann aber doch lieber in seiner zwanglosen mäandernden Behaglichkeit.
Und ja: Mine to Miss mag sein Tempo verspielt umschichten und Life Support gewichtet seine Schwerpunkte immer wieder neu – Die vertrackten Drums und freigeistigen Melodien bieten der Gitarre und der Stimme Grundierung, wehen in ein erhebendes Cinemascope. Doch wenn all das vorbei ist, hat man eben nicht das Gefühl einem tatsächlichen Spannungsbogen zu seinem Ende gefolgt zu sein, oder eine Auflösung für die 47 minütige Reise vorgesetzt bekommen zu haben. Vielleicht ist (LP3) jedoch eine in Bewegung verharrende Platte, die nirgendwo ankommen will und den Weg zum Ziel erklärt. Deswegen ziehen American Football faszinierend in ihren Bann, erzeugen eine meditativ einlullende Spannung, die eine wohlige Gleichförmigkeit erstaunlicherweise eher mit einem Wachstum adelt, als einer abwechslungsarmen Abnutzungserscheinung. Nach (LP3) erscheint für American Football insofern jedenfalls alles möglich – auch ein neues Meisterwerk.
4 Trackbacks