alt-J – This is All Yours
„Are you a pusher/ Or are you a puller?“ fragen alt-J vor perlenden Lagerfeuer-Akustikgitarren und schmiegen sich abseits des Momentums in Samthandschuhe: „I pull the weight towards me„. Dabei positionieren sich die nunmehr als Trio firmierenden Mercury Prize-träger mit dem Nachfolger ihres Sensationsdebüt vor allem als Drifter, die auf ‚This is All Yours‚ mit geschlossenen Augen durch ihre schlauen Indie-Konstruktionen schweben.
Vor wenigen Wochen noch kam kaum eine Review umhin zu bemerken, dass der Abschied von Carlos Dengler oberflächlich betrachtet kaum erkennbare Spuren im Gesamtsound der fünften Interpol-Platte ‚El Pintor‚ hinterlassen hat. Zu ‚This is All Yours‚ wiederum nun wird mutmaßlich kaum ein Artikel erscheinen, der nicht die durchaus überraschende Deutlichkeit der Abwesenheit des Anfang 2014 aus dem Bandgefüge ausgeschiedenen Bassist/Gitarrist Gwil Sainsbury hervorheben wird: weil das Zweitwerk von alt-J nicht nur den auf ‚An Awesome Wave‚ durchaus noch als Markenzeichen durchgehenden massiven Groove am Tieftöner zurückgefahren hat, sondern vor allem aber auch, weil sich die Grundausrichtung der Band verschoben hat. Zwar spielen die Jungs aus Leeds auch als Trio ihren arty Kunstschul-Indiepop zwischen allerlei vogelfreien Referenzpunkten aus minimalistischem Hip Hop, organischer Electronik und Weltmusik-Prog – aber eben um erstaunlich viele Schichten ruhiger, weitläufiger und unspektakulärer als bisher. Die Rhythmuslastigkeit tritt in den Hintergrund, die Kompositionen geben sich weniger griffig, alt-J zelebrieren mit einer einnehmenden Zurückgenommenheit die Erschaffung einer andächtigen Atmosphäre.
War ‚An Awesome Wave‚ mit all seinen eigenwillig um die Ecke kommenden Hits und Ohwürmern also eine relativ frontal zündende Angelegenheit, ist ‚This as All Yours‚ dagegen weniger entgegenkommend, sondern viel eher eine Einladung, sich auf den so eigenständigen wie eklektischen Sound der Band einzulassen, sich abseits einer unmittelbar packenden Griffigkeit durch die 13 neuen Songs treiben zu lassen.
Alleine wieviel Zeit sich das Trio diesmal nimmt um in Gang zu kommen ist bezeichnend für die restliche Platte. alt-J starten abermals mit einem ‚Intro‚ [ernsthaft: Eröffnungsnummern immer noch so nennen zu können sollte verboten werden], diesmal ist der Opener tatsächlich ein solches: Acapella-Loops, Soundflächen und Synthieeffekte verwachsen sich mit einem verschwommenen Mantra zu einem kunstvollen und artistischen Klanggebilde. Der spät einsetzende Rhythmus ist kühl und treibend, verleibt sich das selbe Worldmusic-Flair ein bei dem ‚Taro‚ entlassen hat. Das darauf folgende ‚Arrival in Nara‚ drückt seine melancholische Sehnsucht mit einer still feiernden Melodieallianz aus tröpfelnder Gitarrenelegie und behutsam angeschlagenem Piano aus, so, dass es auch Jon Brion Tränen der Verzückung in die Augen treiben sollte. Nach knapp der Hälfte der Laufzeit hüllen Alt-J die Track-gewordene Streicheleinheit mit behutsamen Gesang in ein Streicherkissen, weben damit ein eindringliches schwelgendes Gespenst ohne Hast und lösen die Bedrücktheit erst mit ‚Nara‚ auf, diesem befreit stacksenden, feingliedrig gewebten Zeitgeist-Gospel.
Es dauert also eine knappe Viertelstunde ehe alt-J doch Zugeständnisse an Plattenfrima und Hit-Fans liefern: das geschmeidige ‚Every Other Freckle‚ sucht als pulsierend werbenden Tanz mit vielen „Hey!„s den Zug zum Tor, ‚Left Hand Free‚ gibt die gelöste Rockannäherung samt Orgelsolo und Handclaps. Letztendlich sind die beiden Songs kompetente Singles, allerdings auch die relative Schwachstelle der Platte: weil hier das Ohrwurm-Prinzip des Vorgängers unverkrampft aber allzu forciert anvisiert, jedoch nicht erreicht wird; die beiden Ausreißer dazu mit ihrem grundsätzlichen Schwung nicht nahtlos in die Grundstimmung der restlichen Platte passen wollen, weil ‚This is All Yours‘ deutlich mehr ein Album-Album als eine individuelle Highlight-Sammlung darstellt. Deswegen ist selbst ‚Hunger of the Pine‚ als sich verselbstständigende Minimaleleltronik, die sich zur mitternächtlich pulsierenden R&B Nummer auswächst (und von seinem fraglich nötigen Miley Cirus-Sample über Gebühr das Rampenlicht stehlen lässt) noch representativer für die restliche Gangart. Wo sich ‚This is All Yours‚ also ansonsten rundum als behände schleichender Grower entpuppt, nutzen sich die beiden buhlenden Auskoppelungen schneller ab, sorgen aber auch für eine Auflockerung der Dynamik und reißen das stimmige Gesamtgefüge nicht über Gebühr auf. Nichtsdestotrotz die Kompromissphase des Albums und ausgerechnet jene Passage, der man auf Dauer wohl am deutlichsten mit dem Skip-Taste zu Leibe rücken wird.
Dem geflickten Bruch im dennoch stimmigen Albumfluss bremsen alt-J danach wieder mit ‚Garden of England‚ aus, einem Flöten-Intermezoo, das ‚This is All Yours‚ wieder in unscheinbarere Bahnen lenkt: als sphärische Ambientlandschaft schließt ‚Choice Kingdom‚ nachdenklich die Augen und die weihevoll tröstende Gesangsmelodie gleicht einer zärtlichen Berührung, wo die weiche Blade-Runner-Ästhetik mit einer verletzlichen Romantik kaschiert wird. ‚Warm Foothills‚ schnipselt kunstvoll Gesangsspuren von Conor Oberst, Lianne La Havas, Sivu und Marika Hackman über seinen gehauchten Bon Iver-Folk und gleicht dabei einer aufgehenden Morgensonne, während ‚The Gospel of John Hurt‚ von der in sich gekehrten Alien-Spoiler-Mediation samt Vocodereinsatz und seinen unter Beruhigungsmittel stehenden Tribaldrums zur immer dichter gestrickten Abfahrt aus dem Dickicht mutiert. Und so den Weg für ‚Bloodflood pt.II‚ ebnet: Bläser geben dem erhabenen Electrosong eine imposante Statur, der eigentlich verletzliche Songkern fängt immer heller und pompöser zu strahlen an: es ist eine andere, nachhaltigere Form der Größe, die alt-J mittlerweile umkreisen.
Dass ‚Leaving Nara‚ danach mit maschinellen Rhythmen, Industrialbratzen und Stammesgesängen durchaus wie ein Abschiednehmen der vorangegangenen Dreiviertelstunde funktioniert, als Abschlusstrack aber auch entlässt ohne einen nachhaltig einschneidenden Eindruck zu hinterlassen, schmälert kaum die einnehmende Tiefe des neu gefundenen Understatements oder die still treibende Schönheit einer traumwandlerisch neue Wege suchenden Platte, der bisweilen der ultimative Geniestreich-Punch fehlen mag, darüber hinaus aber mit angenehmer Unaufgeregtheit den allgemeinen Hype untertaucht. Wer zu ‚An Awesome Wave‚ vom strahlenden Sonnenschein bis in die Abendstunden durchgetanzt hat, findet mit ‚This is All Yours‚ durch die Nacht.
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