Alrakis – Echoes from η Carinae

von am 15. April 2018 in Album, Heavy Rotation

Alrakis – Echoes from η Carinae

Es schien bereits so, als wäre A1V beim Versuch ein zweites Alrakis-Album zu entdecken, in den Weiten des Kosmos verschwunden. Das aus dem Nichts kommende Echoes from η Carinae fesselt auch deswegen nur umso überwältigender.

Knappe sieben Jahre ist es her, dass der Berliner A1V mit Alpha Eri, dem Debütalbum seines atmosphärischen Black(gaze/) Metal-Projektes, das Space Ambient-Subgenre rund um Vorreiter wie Darkspace in Aufregung versetzte – bevor Alrakis gefühltermaßen im Limbo verschollen.
Ankündigungen ob eines zweiten Studioalbums verstrichen ebenso, wie die Präsenz auf sozialen Netzwerken brach lag. Ob und wie es weitergehen würde, beantwortete A1V nur mit der Ungewissheit. Bis Echoes from η Carinae dann plötzlich ohne große Ankündigung oder Brimborium über Nacht auf die Bandcamp-Page von Self Mutilation Services hochgeladen wurde. A1V hüllte sich scheinbar ohne Beachtung des Releases weiterhin in Schweigen, schien selbst Beobachter zu bleiben, und ließ das Mysterium um Alrakis gedeihen.

So trivial es nun auch klingen mag: Vielleicht ist es genau diese zusätzliche Dimension, die dem ohnedies bereits enorm weitläufigen Wesen von Echoes from η Carinae den nötigen (Interpretations)Spielraum gibt, um zu seiner vollen Größe heranreifen zu können.
Alrakis baut das Zweitwerk vor dem Hintergrund einer für Astronomen wohl aufsehenerregenden Doppelsterns aus einem einzigen, 52 minütigen Songmonolithen, der sich als natürlich gewachsenes, komisches Naturschauspiel entpuppt: Echoes from η Carinae existiert in einem faszinierenden Wechselspiel aus ehrfurchtgebietender Distanz und unmittelbar in den Bann ziehender Überwältigung. Man fühlt sich wie im Sog von der epochalen Tiefe und grenzenlos scheinenden Ausbreitung der Platte hypnotiisch gefesselt und in ihrer Gegenwart dennoch staunend klein, schließt Frieden mit einer latenten Einsamkeit.
Nur wenige Bands schaffen es, eine derart nahtlos gefangen nehmende Stimmung und Größe zu erzeugen, die Existenz des Individuums relativieren zu können, in der gefühlten Endlosigkeit ihrer Musik derart verlieren zu lassen, die über eine bedingungslose Sogwirkung rauschhaft in den Bann ziehen.

Echoes from η Carinae beginnt dabei als ambiente Odyssee, als würde man durch die Weiten des Alien-Universums treiben, in der Mathieus Nostromo klaustrophobisch verstörend und schwerelos durch eine Leere driften. Nach knapp sechs Minuten beginnen stellare Synthieflächen mit sphärischem Optimismus zu glimmern, zwei weitere Minuten später perlt der Sound als ätherische Eleganz ala Sigur Ròs.
Immer wieder wird Echoes from η Carinae zu diesem episch funkelnden, in sich ruhenden Space-Kern zurückkehren, neuen Schwung aus der entschleunigten Melancholie und zeitlosen Ruhe für harschere Ausbrüche holen. Der aus der traumwandelnden Textur plötzlich greinende Ekel explodiert deswegen auch umso nachhaltiger. Eine schneidende Gitarre sägt undifferenziert verwaschen durch die ätherische Weite, ein maschineller Rhythmus breitet sich gediegen aus. Der Sound ist roh und ungeschliffen, aber monumental. Das Echo der kurzen Eruption hallt ohne Repetition und Monotonie nach, assimiliert sich in der dichten Atmosphäre, verändert sie. A1V stößt sein leidendes, spitz schreiendes Gebrüll aus dem Vortex. In dem Areal, wo andere Black Metal-Bands durchatmenden und Interludes andeuten, entspinnen Alrakis gleich ganze Welten, bleiben aber stets im fast schon Funeral Doom-vertrauten Tempobereich und verzichten vollends auf Blastbeats und aggressiv-konventionelle Plakativität, die Gitarren kreisen mit einer akribischen Grandezza.

Interessant erscheint dabei, dass Alrakis genau genommen keine autonom stehende, prägnante Szenen – Riffs oder auch Melodien – kreiert, nicht auf explizit herausragende Bestandteile setzen, die mit individuell geschärftem Fokus funktionieren. Stattdessen steht hier der Kontext des Gesamtwerk immer als oberste Priorität, wächst Echoes from η Carinae über zahlreiche vertraut und im Genre-Rahmen vielleicht wenig spektakulär auseinanderdividierbare kompositionelle Elemente erst in seinem kohärenten Fluss zu seiner charakteristischen Fulminanz heran und lässt damit die für sich genommen mitunter doch archetypisch konstruierten Bausteine erst im Ganzen ihre tatsächliche Gravitation entfalten: Echoes from η Carinae ist als Expedition mehr als die Summe seiner Teile.

Am deutlichsten wird dies gerade in der überragenden zweiten Hälfte der Platte. Wenn der Mammutsong um Minute 28 herum wieder anzuschwellen beginnt, verwischen die fauchenden Gitarren zu ästhetischen Flächen, hat A1V Geschrei etwas manisches, beschwörendes – jedoch kennt die Mutation von Echoes from η Carinae zu diesem Zeitpunkt keine Gewalt und kaum noch offenkundige Giftigkeit, konzentriert sich eher als verinnerlichte Verzweiflung.
Später löst sich das Geflecht beinahe in ätherischen Synthie-Schwaden auf, droht zwischen dem Einwirken der ambivalenten Kräften zu kulminieren und wird als Katharsis gepeinigt. Doch gerade durch diese Reibung entsteht ein majestätisch verglühendes Finale, das letztendlich von einem versöhnlichen Pianopart (paradoxerweise beinahe zu bald) über den Ereignishorizont getragen wird. Niemals sonst ist das vereinnahmende Echoes from η Carinae trauriger und wunderschöner zugleich, als wenn Alrakis den Kosmos wieder verlässt, ohne die Reise dafür tatsächlich zu einem Ende zu bringen: Echoes from η Carinae ist ein Möbiusband, das wie eine konturlose Erinnerung sein eigenes Kontinuum geschaffen hat.

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