Alice In Chains – Rainier Fog
Alice In Chains kehren für Rainier Fog knapp 22 Jahre nach dem selbstbetitelten Schwanengesang mit Layne Staley nach Seattle zurück: Ein Tribut im selbstreferentiellen Sound an die eigene Vergangenheit sowie an verstorbene Weggefährten.
Wo sich das sechste Album der Band stilistisch erwartungsgemäß ohne gravierende Überraschungen kaum aus dem bisher eingeschlagenen Weg der Ära William DuVall bewegt, kontrastiert Rainier Fog diese unbedingten Hingabe an die formale Kontinuität im Inhalt immer wieder explizit mit der Vergänglichkeit.
Während The One You Know etwa die stoisch um einen Ton schiebende Riffwalze gibt, repetitiv-monolitschisch unbeirrbar dem militärisch strengen Rhythmus folgt, seine Vehemenz aber für einen enorm eingängigen Refrain aufmacht, verneigt sich Cantrell vor Fame und gedenkt Bowie („Tell me, does it matter/ If I’m still here, or I’m gone?/ Shifting to the after/ An impostor, I’m not the one you know“). Der flotter seine melodische Griffigkeit im Detail verschiebende Titelsong ist vielleicht bis auf die atmosphärisch bärenstarke Bridge in seiner stimmigen Gefälligkeit kein unbedingtes Highlight von Rainier Fog, dafür aber ein eindringlicher Blick zurück auf die goldenen Tage von Seattle und deren Heroin-Opfer Mike Starr und Layne Staley („With you here we shared a space that’s always half-empty“).
Dem ehemaligen Sänger ist dann neben Chris Cornell und DuValles verstorbener Großmutter auch das schlichtweg triumphale Never Fade gewidmet, in dem Alice In Chains das Tempo schmissig anziehen und die versöhnliche Hymne proben, die so unglaublich nahe an den 90er-Alben der Band ist, wie das ohne das gewisse Quäntchen emotional überwältigender Staley-Magie eben möglich ist.
Ohne den (freilich nach wie vor über Alice In Chains dräuenden, aber eben zumeist endgültig nur noch im Hinterkopf erkennbaren) Schatten des unersetzlichen Frontmannes bemühen zu müssen, drängen sich auf Rainier Fog viel eher die Feststellungen auf, dass das jeweils dritte Album mit DuValle sowie Produzent Nick Raskulinecz nicht nur das ebensovielte rundum überzeugende seit der Reunion 2005 geworden ist, sondern auch, dass das „neue“ Bandgefüge längst absolut homogen verwachsen ist.
Rainier Fog fühlt sich kaum noch wie eine Jerry Cantrell-Soloplatte mit prominenten Begleitern an (wie wunderbar wäre aber ein Nachfolger zum meisterhaften Degradation Trip?), DuVall stemmt einen Gutteil der Vocals dominant und schärft das Bandfeeling rund um majestätisch walzende Riffs und entwaffnende Harmoniegesänge, melancholische Melodien und fragiler Härte. Die Dynamik der Platte gewinnt dabei an Weite und Raum, wodurch die versammelten 54 Minuten eine weniger erschlagende Dichte als der Brocken The Devil Put Dinosaurs Here haben, mehr Raum zum Atmen bekommen und Alice In Chains wie selbstverständlich zwischen den eng gesteckten Grenzen ihres Stils variieren lassen: Rainier Fog setzt die Schattierungen mal Richtung tektonisch fliesenden Sludge (behäbig schmiegt sich etwa Red Giant an seine Melodie und hakt das prototypische, aber mäandernde Deaf Ears Blind Eyes seine Handwerkskunst ab, ohne deswegen zu sehr nach Vorschriftsdienst zu klingen) oder poppigerer Heavyness (das toll am disharmonischen Riff entlanggezogene DuValle-Glanzstück So Far Under beispielsweise).
Dann wieder prägen balladeske Anflüge eine Platte, die auch immer deutlicher hin zum Classic Rock schielt. Die versöhnliche Streicheleinheit All I Am gefällt als betörende Nabelschau, die etwas zu unspektakulär verglühend als Schlussnummer ein wenig unter Gebühr entlässt, aber das Händchen der band für einfühlsame Emotionen unterstreicht, während Drone sich sicher auf seinen geschmeidigen, fett staksenden Groove und lässige Schwere verlassen kann. Der Refrain zündet hier auch wegen der thematischen Vertrautheit aus dem „Black Hole“ heraus sofort, der Wechsel mittendrin zum nachdenklichen Intermezzo mit Chris DeGarmo (Ex-Queensrÿche) wirkt ein bisschen zu forciert, fesselt aber die Aufmerksamkeitsspanne. Das leichtgängige Maybe pendelt dagegen nostalgisch entlang der Memory Lane, nimmt über ein folkig perlendes Gerüst entspannt an Fahrt auf, verkneift sich im majestätisch erhebenden Fluss zudem die allzu pathetisch aufdringlichen Streicher und beweist alleine damit Klasse. Fly ist durch seine akustische Gitarre nicht nur luftiger und offener in der regelrecht klassischen Melodieführung, sondern forciert gar ein psychedelisch angehauchtes 90er-Flair, das ausnahmsweise sogar die Grunge-Schublade zulässt – spätestens wenn das Solo losheult, knien von Slash bis zu den metallischen Deftones im atmosphärischen Outro ohnedies alle vor Jerry.
Trotz einiger derartiger Finessen (Cantrell präsentiert etwa immer wieder mit kleinen Ideen sein Genie als Gitarrist, lockert die souverän und zuverlässig arbeitende Rhythmussektion auf und dirigiert minimale Details wie das nach zehn Sekunden einsetzenden Piano in The One You Know) herrscht dabei freilich nur innerhalb des eigenen Wertekontextes eine relative Bereitschaft zur Variation. Alice In Chains sind nun mal Alice In Chains und geben sich ihrem Sound bisweilen reaktionär hin, was bei dem aufgefahrenen Songmaterial nur gut und vernünftig ist, indem man klug auf seine kultivierten Stärken setzt. „Wir haben einen ziemlich definierten Sound. Innerhalb dieser Parameter gibt es auch Freiheiten, aber unser Klangspektrum ist eine Institution. Im besten Fall erkennt man einen Song von Alice in Chains an den ersten beiden Akkorden.“ Genau dies tut Rainier Fog mal triumphaler, mal routinierter zehn ausfallfreie Male, schließt hinter der Rückkehr an alte Wirkungsstätten jedoch vor allem auch revitalisierend Kreise: All die Besinnung auf Vergänglichkeiten, Traditionen und Verbundenheiten lässt Alice In Chains vital und lebendig wie selten wirken.
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