Algiers – The Underside of Power
Auf eine breitere Basis gebracht ist der ungemütliche Schmelztiegel-Sound von Algiers keineswegs gezähmt, aber durchaus einladender geworden. Das ändert letztendlich nichts an der Sprengkraft von The Underside of Power, vergrößert aber den Wirkungsradius seiner zwölf vor sozial-politischer Dringlichkeit berstender Songs.
Am eindringlich pulsierenden Standpunkt der um Ex-Bloc Party-Drummer Matt Tong gewachsenen Band hat sich grundsätzlich wenig geändert: Immer noch verstricken Algiers ihre stilistischen Amalgame so eklektisch wie zornig fordernd im Spannungsfeld aus energischem Postpunk, düsterem Soul- und Gospel, drückendem Noiserock-Elementen, R&B, No Wave und beklemmenden Industrial-Motiven – stets angetrieben von einer zutiefst mitreißend-politischen Wut, einer greifbar transportierten Protest-Energie.
Doch hat das Quartett – auch dank der verschiedenen Produzenten-Genies Adrian Utley, Ali Chant, Ben Greenberg sowie Mixer Randall Dunn – verstanden, dass ein wenig mehr Entgegenkommen und eine Verlagerung der Intensität das ambitionierte Sendebewusstsein von Algiers durchaus verstärken kann. The Underside of Power funktioniert deswegen leichter zugänglich als der selbstbetitelte Vorgänger aus dem Jahr 2015, wirft immer wieder seine melodiösen Netze und Haken aus.
Es gibt nun expliziter zündenden Beinahe-Rock zwischen Savages, Bloc Party, Protomartyr und Health – wie das angriffslustig nach vorne treibenen Cry of the Martyrs (das mit windschlüpfigen Bass, dräuenden Synthies-Schichten und sakral anmutendem Gospel-Überbau die Adern auf der Stirn sichtbar macht und die Zügel schweißtreibend enger spannt) oder Animals (ein geradezu punkiger Sprinter in der Distanz von Suicide zu Gang of Four, der mit scharfkantig-schnittige Gitarren und stoisch hämmernder Machine-Rhythmus malträtiert, nur um plötzlich in den gefährlichsten Arealen der Tanzfläche zu eskalieren).
Auf der anderen Seite laden Algiers nunmehr auch unmittelbarer in ihr Innerstes ein, geben sich bisweilen intim und verletzlich, wenn etwa Mme Rieux als bedrückte Klavierballade beginnt, die in einer finsteren Klangwanderung mit choralen Grundierungen mündet, oder Hymn for an Average Man den so beseelten Gesang von Chefcharismatiker und Zauberröhre Franklin James Fisher über ein behutsames Pianoloop stellt, leise aufbrandende Streicher über ein krautig in den Abgrund schillernde Entspannung träumen, als hätten Radiohead mit The Invisible an den Knöpfen gedreht. Wo [amazon_link id=“B00UVCI1NK“ target=“_blank“ ]das selbstbetitelte Debüt von Algiers 2015[/amazon_link] vor allem zerissen verführte und Dinge in der Atmosphäre schweben ließ, reicht sie zwischen Atlanta und London gesplittete Kombo immer wieder die Hand, um für ihre Sache zu mobilisieren, schärfen die Konturen und heben die catchy Festhaltepunkte deutlicher hervor.
Vor allem aber ist da diesbezüglich natürlich der Titeltrack – eine Killersingle mit einem infektiös-entwaffnend stampfenden, unfassbar eingängig die große Geste suchenden Blues-Soul-Refrain, für den von Alabama Shakes bis zu den Black Keys wohl alle annähernd ähnlich verrotteten Kollegen schlichtweg morden würden. Als wären The Heavy von der Tarantel gestochen worden. Dass Algiers den Chorus beinahe zu oft repetieren, lassen die unter Strom stehenden Endorfine kaum merken – da schlägt man im sich verselbstständigenden Pop-Momentum ohne Probleme über die Stränge.
Man darf diesen in seiner Hittauglichkeit aus dem restlichen Gefüge herausragenden Herold allerdings keineswegs als Rattenfänger interpretieren, obgleich Algiers freilich keinen subversive Art wählen, um die Charts des Indie-Mainstreams mit ihrer engagierten Agende zu füttern: Im Kontext von The Underside of Power betrachtet bedeutet der ein Massenpublikum abholen könnende Ausreißer keine neue anbiedernde Wohlfühlzone für die Band, sondern tatsächlich eine Ausweitung der Kampfzone.
Walk Like a Panther ist ein nervös pulsierendes, düster wummerndes Elektronik-Konstrukt, eine ausgemergelt die Muskeln spielen lassend Nackenschlag-Party für die Riege um A$AP Rocky und Drake, mit harten Pad-Beats und verzerrten heulenden Vocals, wuchtigen Blade Runner-Synthies – als würde es TV on the Radio endlich wieder unter den Fingernägeln brennen, als wäre das imposante [amazon_link id=“B002I6251G“ target=“_blank“ ]In this Light and on this Evening[/amazon_link] nicht das Ende der Relevanz für die Editors gewesen.
Death March zelebriert dagegen maschinellen Fabrik-Post Punk: Bass und Schlagzeug poltern kalt um die finster hallenden Gitarre und die dystopischen Synthieglitzern, Fisher legt sich mit verzweifelter Leidenschaft in das Szenario, während das zutiefst dringliche The Cycle/The Spiral: Time to Go Down Slowly als Chimäre aus Lounge-Jazz und Krawall-Attacke zum furiosen Finale zuckt.
Cleveland beschwört dagegen als pluckernd unterfütterter Soulsong mit Chor und Beats, ufert nach dem anklagenden Call and Response-Part kurz zur ditigaler Soundcollage aus, bleibt aber im Rahmen – den Job der Luft holenden Ruhepole übernehmen auf The Underside of Power die Interlude-artigen Intermezzi A Murmur. A Sign. (als zurückgenommene Ruhe im Sturm ein psychedelisch in sich gekehrt brodelndes Mysterium), Plague Years (eine ambiente Klanglandschaft aus unwirklichen Samples und sinistrem Hall) und Bury Me Standing (Avantgarde-Trompetenflächen im Stile des Kilimanjaro Darkjazz Ensemble).
Klug gesetzte Bindeglieder im großen Ganzen: Oft schafft es die zwischen ihren Einflüssen förmlich zu implodieren scheinende Band im Gesamten nämlich trotz eines rundum prägnanter und fokussierter gewordenen Songwritings nicht gänzlich, die aufgebauten Spannungsbögen auch innerhalb des Kontextes eines einzelnen Songs zu Ende zu denken, und übergibt Stimmungen stattdessen kurzerhand zum nächsten weiter. Die Dynamik bleibt so jedoch erhalten, und der sprunghafte Ersteindruck, es bei The Underside of Power mit einem homogen skizzierten Stückwerk-Sammelsurium zu tun zu haben, verflüchtigt sich mit jedem Durchgang mehr.
Das Zweitwerk der Kosmopoliten Algiers entwickelt letztendlich einen enorm stimmigen Fluss entlang eines stets erkennbaren musikalischen roten Fadens, der die beeindruckende Weiterentwicklung einer sich ihr eigenes Hohheitsgebiet erschaffen habenden Band zumindest vorläufig abrundet. Denn um mit The Underside of Power tatsächlich bereits restlos angekommen zu sein, dafür klingen Algiers hier über 45 Minuten schlichtweg immer noch zu ruhelos, zu energisch, zu mobilisierend, zu hungrig – zu grandios fordernd.
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