Alexis Marshall – House of Lull . House of When
Dagegen war You Won’t Get What You Want fast schon Easy Listening: Daughters-Frontmann Alexis F. Marshall offenbart auf seinem Solodebüt House of Lull . House of When einen schwer verdaulichen Blick auf sein Seelenleben.
Es macht schon Sinn, dass die nahe an Marshalls Stammband eilende Single Nature in Three Movements nun wirklich keinen Platz im Kontext des lange verschobenen Langspieler gefunden hat, obwohl gerade ein tollwütiges Hounds in the Abyss auf gar nicht so unähnliche Weise auch die Rhythmik als motorische Leitfigur nutzendes Element im krautigem Stoizismus poltert. Selbst hier klingt Marshall inmitten seiner Helfer (etwa Lebensgefährtin LINGUA IGNOTA, Jonathan Syverson am kargen Minimal-Kit eines ramponierten Schlagzeuges oder Evan Patterson, der seine Gitarre so schlecht und reduziert wie möglich spielen sollte) in einem spartanisch-ausgemergelten Sound nunmehr aber so viel kaputter, rumpeliger, zerfahrener, impulsiver, als auf dem alleinstehenden Vorboten.
Mehr aber hat er für das Material des Langspielers auch schlichtweg dem konventionellen Songwriting noch radikaler entsagt, sich auch von seinem Mutterschiff Daughters entfernt, von den Ursprüngen bei As the Sun Sets oder Fucking Invinsible freilich ganz zu schweigen.
Stattdessen macht es für die Verortung der Platte definitiv Sinn, wenn Marshall Referenzpunkte wie Nick Cave, Scott Walker, Public Image Ldt., Glenn Branca, die Einstürzenden Neubauten, Suicide oder die Swans und Nico anführt.
Denn House of Lull . House of When ist eine spontan entfesselte Katharsis im weitesten Rahmen des experimentell ausgelegten Death Industrial und Avantgarde/ Noise Rock geworden. Hypnotisch kasteiend soll die ritualistisch pulsierende, ständig implodieren könnende Percussion die Trance erzeugen, auf der Marshall eine Plattform und Kanzel findet, um seine (gerne auch repetierten) Stream of Consciousness-Tiraden an der Grenze zum Spoken Word und zwischen deliranten Instrumenten im Fieberwahn auszuspeien – ungeschönt, gepeinigt und peinigend, nihilistisch und depressiv, auch ein Hackbrett leidet.
Die keine Rücksicht auf Spannungsbögen oder Strukturen nehmenden zerschossenen Gebilde richten die Aggressionen dabei roh und rau nach innen, erzeugen eine niemals wirklich zugängliche Unnahbarkeit, die im Kontrast des fast schon erdrückend vereinnahmenden Wesen des Protagonisten dieses zutiefst persönlichen Werkes gleichermaßen frustrierend wie faszinierend ist. Dass es zumindest für den Hörer aber befriedigender gewesen wäre, wenn Marshall all die Intensität und sich selbst kasteiende Spannungen auch einmal in kompositionell griffigeren Formen zu artikulieren, ist auch dann noch spürbar, wenn sich eine gewisse Ernüchterung auf den Erstkontakt zu einer süchtig machenden Sogwirkung gewandelt hat, die letztendlich in der Erkenntnis münden wird, dass House of Lull . House of When eben einfach kein Album ist, das man auf Sicht oft hören wird. Wenn dann wird man aber bei jeder diese tonalen Therapiesitzungen von der exzessiven Persönlichkeit der versammelten 42 Minuten gebannt sein, die trotz der vagen stilistischen Assoziationen wie nichts anderes da draußen klingen; oder richtiger: mit dem Geist der destruktiven Seite der 80er klingen, wie mittlerweile nichts anderes mehr da draußen.
Drink from the Oceans . Nothing Can Harm You lässt dafür die rostigen Ketten rasseln, das Verlies öffnet sich. Ein schweres, melancholisches Goth-Piano windet seine Töne aus der Finsternis, Marshall rezitiert klar und mit einer gebremsten Aufbruchstimmung. Wie ein optimistisch verletztes Tier, das durch Synthschwaden irrt, während der kongeniale Seth Manchester der Raum zum Träger der Atmosphäre produziert: „Thе past is like an anchor/ I am here, I am here, I am here“. Spät platzt der Opener zur sakralen Noise-Zeitlupe auf – beschwörender, psychotischer, dichter. Die Distortion brodelt und knistert unter Marshall, der sich selbst geißelt.
Eine klarere Evolution beschreitet eigentlich kein weiterer Song der Platte, der starke Closer Night Moving setzt den Rahmen jedoch ähnlich rund: als finale dystopisch-apokalyptische Erzählung aus Ruinen im Stillstand scheint Marshall seine angestaute Wut bis zu einem gewissen Grad befriedigt, seine innersten Dämonen ein wenig besänftigt zu haben. Zumindest lässt er sich von der Ahnung einer entrückten Schönheit umspülen, die hier freilich im Subtext dennoch nur hässlich sein kann, allerdings doch eine versöhnliche Note freisetzend.
Dazwischen brennt es unter den Fingernägeln. It Just Doesn’t Feel Good Anymore tendiert zum Free Jazz-Veitstanz, der als wahnsinnige Rüge aus allen Nähten zu platzen scheint, den Krawall eher nur notdürftig als Song kaschiert. Das Schlagzeug und ein Saxofon sind auf Konfrontationskurs, Marshall gibt den schluchzenden Berserker, irgendwann brüllt Kristin Hayter wie ein bessessener Teufel aus dem klaustrophobischen Off. Youth as Religion . als traurige, verlorene Rezitation, lässt einsame Saiten über einer ambienten Klanginstallation glühen, leckt ihre Wunden introspektiv. Religion as Leader nimmt sein ausgemergeltes Drum-Motiv als Grundlage, zu der der Amerikaner predigt und die restlichen Instrumente wimmern und quietschen, aus der Folterkammer ächzen, LINGUA IGNOTA als Gespielin mit geifernder Verzweiflung kotzt.
In Open Mouth überlappen sich Marshalls Stimmen wie in einem Rausch, der eigentlich ein Schlagzeug-Jam mit nervös übersteuerten Krawall-Texturen ist, bevor der Sänger sein Organ als kultische Call-and-Response-Sekte im hysterisch-sedativen Chor andeutet, verweigert der kompromisslosen Konsequenz der Platte aber selbst hier die klaren Konturen. Noch entrückter in der Verweigerungshaltung sind nur die Collagen No Truth in the Body (fallende Münzen zeigen einem beklemmend ruhig und geduldig klimpernden Horror-Suspence) und They Can Lie There Forever (als Skizze aus polternder Percussion und Feedback, die sich sogar relativ deutlich als Intermezzo zu erkennen gibt). Auch wegen solcher Stimmungstapeten kann man sich in House of Lull . House of When, diesem Befindlichkeits-Irrenhaus von einem Album, irgendwo doch fast wohlfühlen und verlieren. Das nächste Daughters-Album könnte so aber bereits jetzt eine Rolle als Erlösung für Marshall und seine erlösender Befreiungsschlag für sich reservieren.
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