Alex Zhang Hungtai – Divine Weight
Bei all den Projekten, die Workaholic Alex Zhang Hungtai betreibt, kann es durchaus schwer fallen, am Puls des konstant hohen Veröffentlichungsfrequenz zu bleiben. Unter seinem eigenen Namen trägt er dabei primär das Material zusammen, was anderswo nicht seinen Platz finden wollte.
Das war schon beim Vorgänger und nominellen Alex Zhang Hungtai-Solodebüt Knave of Heart so („A collection of recordings from the Europe years 2012-2015 in various cities„) und trifft nun gewissermaßen auch auf das recycelnde Divine Weight zu. Über die fünf hier versammelten Tracks sagt der Weltenbummler, dass sie aus „‚failed‘ attempts of saxophone compositions and recordings accumulated over the last 3 years“ entstanden seien und spinnt aus dieser Ausgangslage mit konzeptuellen Überbau weiter: „From there it became the actual stem tracks that were heavily digitally disfigured until it no longer resembled the sound of saxophones“ (Anmeldung: Stimmt so nicht ganz – das Saxofon scheint auf Divine Weight eher die Rolle einer geisterhafte Ahnung im Hinterkopf einzunehmen, knapp an der Schwelle zur Vergessenheit, aber mit unterschwelligem Einfluss auf alles Geschehen).
Und weiter: „Like dreams, visions often come to us without us having the capability to measure or understand fully what they mean. Similar to Alejandro Jodorowsky’s Psychomagic, dreams and visions take on the roles of witnesses inside the uncharted labyrinth of the personal sub-conscious. To witness, is to believe. To believe, is to project a certain reality onto the external world. The projection then, has nothing to do with reality. Perhaps it’s where dreams go, after it dies.„
Nach Love Theme (2017) sowie den fiebrigen Barbluesjam-Jazz von Snake Eyes folgt Zhang Hungtai damit nun einer knapp 42 minütigen instrumentalen Ambientreise, die den Weg hin zum Kopfkino-Soundtrack mit mit ihrer imaginativen Dichte vielleicht sogar vollendeter voranschreitet, als jede andere ähnlich geartetet Veröffentlichung des rastlosen Multiinstrumentalisten. Divine Weight fühlt sich schließlich endgültig wie ein eindringlicher Score an, minimalistisch und mediativ; er breitet entfremdete Keyboardschwaden ohne jedwede Rhythmusarbeit mit emotionaler Räumlichkeit in Klanglandschaften, die gleichzeitig beklemmend und ohne klare physische Präsenz in die entschleunigte Drone-Leere treiben und bringt damit einen eigenen Kosmos zum Leben.
Schon Pierot etabliert damit den Charakter von Divine Weight, ist ätherische Soundmalerei mit Cinemascope-Tiefenwirkung und transzendentaler Aura, auf Synthieflächen und entrückte Pianowellen gebaut, mit den ehemals prägenden Bläserarrangements des ehemaligen Dirty Beaches-Musikers verziert. Das Szenario bleibt konturlos verhuscht, geisterhaft.
Zhang Hungtai entwirft eine Ausstrahlung, die auf subtile Weise verstörend ist, faszinierend und doch auch seltsam anziehend. Eine aventgardistische Horror-Esoterik mit spiritueller Mystik. Oder Colin Stetson ohne konkretes Songwriting und technische Virtuosität, aber eben instinktivem Gespür, das dem Hörer aus der Beobachter-Perspektive mit beängstigender Geduld im Nacken sitzt, wellenförmig aufbereitet. Zhang Hungtai skizziert meisterhaft Gemütsverfassungen und Stimmungsbilder, kreiert atmosphärisch dichte, weitschweifende Szenen: Melancholisch, düster und bedrückend ist das, und zieht so sehr in seinen Bann, dass Pierot über seine viereinhalb Minuten auch gerne noch länger weitergehen hätte können.
Stattdessen erkundet Divine Weight verschiedene Aspekte und Facetten seines Wesens. Matrimony etwa trägt schmelzende Chöre aus der Steckdose zusammen. Eher wehklagend, als erhebend, dennoch ein Begleiter für die einsamsten Stunden im All. Von dieser Ambivalenz lebt die Platte: Es scheint eine immanente Schönheit und geradezu intime Geborgenheit hier zu existieren, doch wandelt Divine Weight ebenso mit einer hoffnungslosen Epiphanie durch eine ozeanische Leere.
This is Not My Country mag insofer ein irritierender Titel für einen kosmopoliten Globetrotter Zhang Hungtai sein, doch zeichnet er durchaus ein treffendes Bild von der andersartigen Beschaffenheit eines ungebundenen Werkes, das wie aus einem Guss Grenzen verschwimmen lässt: Filigran und verletzlich gleitet Divine Weight wie ein Hauch über seine eigene Existenz, so schemenhaft nuanciert, dass alles auseinanderzufallen droht. Erst spät werden Ideen stärker kontrastiert, beinahe greifbarer, doch letztendlich flimmert das Erlebte mit einer weichen Nostalgie ohne Erdung, sinister und abgründig, sogar leicht bedrohlich, ziellos natürlich. Yaumatei spult sich dort durch den Bandsalat – drückend, subtil und psychotisch, entsteht eine ähnliche laszive Anspannung wie bei Mica Levis Soundtrack für [amazon_link id=“B00IK3HX1S“ target=“_blank“ ]Under the Skin[/amazon_link].
Der finale Titeltrack knüpft hingegen gefühltermaßen an das Ende von Anna von Hausswolffs wunderbares Enigma Dead Magic im Interstellar’schen Orchestergraben an, schichtet massive Orgelcrescendos zu einem aufbrandeden schwarzen Loch in dystopischer Hypnose. Annähernd 20 Minuten verlangen freilich verbindlich, dass man sich auf derartig aufwühlende Entspannungstrancen einlässt, doch das bringt das Genre alleine mit sich.
Wohin dieser Trip dabei dabei führt, bleibt hingegen ebenso offen, wie seine Ursprünge letztendlich nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil hier aus Archivmaterial im Umkehrschluss plötzlich Reflektionen zukünftiger Visionen werden können: „It was all composed and recorded on my laptop, through digital manipulation: stretching, exaggerating frequencies through excessive EQ, sampling my own saxophone recordings through granular synthesizers, through improvisation, and by trial and error it became a projection onto an old projection“ sagt Zhang Hungtai über Material, das anderswo kein Zuhause finden konnte, weil ihm die richtige Form fehlte – und der mit dieser Arbeitsweise nicht nur hier an William Basinski erinnert.
Immerhin löst Divine Weight zeitliche und kulturelle Ebenen so erfolgreich auf, wie sich das der Getriebene selbst kaum vorstellen mag: „The word „failed“ in the press release was presented in quotations to highlight the significance of a over-dominating cultural narrative that drives all of us: what is successful? how is excellence measured? By who? How is it measured? That was the social narrative I battled against for 4 years post-Dirty Beaches because I wanted to be free from my musical past. But simply reacting to your past does not resolve anything, and picking up a saxophone and train for 4 years in attempt to play free jazz definitely does not solve that problem nor does that make you „FREE.“
Doch genau danach klingt Divine Weight zwischen Zeilen, hinter denen man sich verlieren kann, und lässt Zhang Hungtai mit dem Narrativ als Möbiusband auch näher zu anderen Wunschvorstellung kommen, als ihm vielleicht selbst bewusst ist: „Unfortunately, this album still can’t escape the trappings of a narrative. I wish to eliminate myself as the observer by knowingly surrender to what I can’t predict as an outcome, and who knows what that would entail?„
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