Alabama Shakes – Boys & Girls
Wer braucht schon konkrete Songs, wenn er so eine Stimme in den eigenen Reihen hat? Vier Jungspunde legen trotzdem ihr ganzes Herzblut in gefühlvollen Southern Rock, der sich an nachdrücklichen Soul schmiegt.
Kann sich noch jemand an die Noisettes erinnern, als diese mit ihrem durch und durch tollen Debüt ‚What’s the Time Mr. Wolf?‚ mit aussagekräftiger Stimme an wirklich erinnerungswürdigen Songs weitestgehend vorbeischrammten? Ein wenig werden diesbezüglich jedenfalls Erinnerungen aufgrund der versammelten 38 Minuten von ‚Girls & Boys‚ wach, weil hier bekanntes aus dem Jetzt mit Verehrtem aus dem Damals aufregend miteinander vermengt wird, dem Zeitgeist ebenso Tribut gezollt wird, wie der langen Referenzliste.
Bei Alabama Shakes geht es dem Albumtitel entsprechend natürlich vor allem um das Auf und Ab der Liebe , um den beinharten Kampf und das sich lohnende Festhalten daran. Knallharte Soulmusik eben, sehnsuchtsvoll und leidend. Aus der Röhre einer Amerikanerin, die in ihren Zwanzigern bereits alles Liebesleid der Welt ertragen zu haben scheint. Das platziert sich nur zu perfekt in die grassierende Nostalgiesucht junger Soulmänner wie Michael Kiwanuka, nie unmoderner Vergangenheitsbewältigung im verbindlichen Austausch mit Genrebruchstücken aus Rock und Blues. Und was ‚Boys & Girls‚ schlussendlich doch auch gut tut – besten Gruß an die gefühlvoll, dicht gewebte Produktion – ist, dass diese exaltiert in jeder Auslage zu glänzen vermögende Stimme jenseits der Dringlichkeit zwar zum absoluten Hingucker mutiert, die Songs aber nicht ausschließlich im Alleingang stemmen muss.
Nicht wie beim die Marschrichtung weitestgehend vorgebenden, diese aber nicht einschränkenden Opener ‚Hold On‚, wo Alabama Shakes Riffs an und abschwellen lassen und damit ein bisschen zur reinen Präsentationsplattform für Stimmwunder Brittany Howard verkommt. Die platziert sich irgendwo zwischen der nölenden Intensitätsbeiläufigkeit einer Macy Gray, der zwanghaften Fiebrigkeit einer Beth Ditto, dem geschmeidigen Soul einer Amy Winehouse und der kredibilen Rückschau einer Sharon Jones. Überhaupt Rückschau: Ohne die ganz großen Helden wie Janis Joplin geht bei Howard nichts, ihre Band muss da freilich weniger weit in die Vergangenheit reisen: Da tun es Creedence Clearwater Revival und deren Southern Rock Widergänger, die Kings of Leon – ca. ‚Youth and Young Manhood‚ – die ja seit Jahren nicht mehr wissen, wie ihnen der Kopf steht. Den rücken Alabama Shakes auch der letzten Black Keys Platte zurecht, weil den gefühlvollen Blues, die Stones der 70er und Led Zeppelin Platten, die kennt man auch in Athens, richtig, Alabama. Und dass man derartige Platten dann doch noch am besten in der Country Hochburg Nashville aufnimmt, weiß man außerdem.
Deswegen atmen Songs wie das herrlich schwelgende ‚I Found You‘ die erfahrungsgeschwängerte Luft von fünfzig Jahren Soul und Gospel, wohingegen ‚You Ain’t Alone‚ energiegeladen den Schweiß aus den Poren drückt. Und dabei sind es nicht nur die geschlossen versammelten vier Songs der ersten selbstbetitelten EP, welche auf ‚Boys & Girls‚ die markante Speerspitze der Aufmerksamkeit bilden, sondern auch der diesen nachgeschobene Songschwall begeistert, der die Erwartungshaltungen nahezu anstandslos mittragen kann. Einen beschwingt schunkelnden Brocken wie ‚Heartbreaker‚ muß man ja erst einmal auf Lager haben. Das platziert sich zu jeder Sekunde elegant zwischen smoothem Wohklang und niemals zu ruppigem Ellenbogeneinsatz, bleibt neben dezenten Orgelschwaden minimalistisch bei Schlagzeug, Bass und Gitarre, der Jam ist näher als konkret gezimmerte Konstruktionen.
Damit scheint die wilde Live-Dynamik der Band zugunsten eines wohlig-warmen Klangszenarios zurecht gerückt worden zu sein, die ‚Boys & Girls‚ dennoch auch auf Platte zu mehr als der ideal arrangierten, bekömmlichen servierten Schnittmenge aus Soul- und Rockmusik wächst, den Kopf im R’n’B und Country hat, die Gedanken bei Motown und versifften Clubs.
Wie seinerzeit bei ‚What´s the Time Mr. Wolf‚ bleibt wie bei ‚Boys & Girls‘ jedoch auch der Eindruck: Das lässt trotz allem Luft nach oben, ist zwar famoser Einstand und astreine Visitenkarte in einem, viel mehr aber noch ein Versprechen für die Zukunft.
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