Ahoi! The Full Hit of Summer [11.07.2017: Donaupark, Linz]
Nicht nur, dass das Wetter diesmal keine Kapriolen schlägt: Im direkten Vergleich zum vergangenen Jahr macht das Ahoi! The Full Hit of Summer – trotz subjektivem Schönheitsfehler – noch einmal alles um das Quäntchen besser, als bereits bei der fulminanten Erstauflage.
Gut, die Luft nach oben ist für das Tagesfestival in Linz nach dem triumphalen Auftakt 2016 ohnedies verdammt dünn. Qualität und Quantität stimmen hier einfach grundsätzlich. Das Areal an der Donaulände wartet nicht nur mit einer entspannten Atmosphäre auf – von der tollen Organisation (Ohrstöpsel, Sonnencreme, Regenschutz – alles unentgeltlich vorhanden) über das engagierte Informationsmanagment der Veranstalter (vor und während des Festivals via Soziale Medien), über das (kinder)freundliche Auftreten und das professionelle Handling beim Einlass, bis hin zum guten Sound – das gesamte Erscheinungsbild und Rahmenprogramm des Full Hit of Summer ist schlichtweg abermals top.
Dass es dieses Jahr diesmal zudem frei verfügbares Leitungswasser (wenn auch mit länger Warteschlange verbunden) gibt und die Abwicklung an den reichlicher vorhandenen Getränkeständen (mit leidlich willkommenen Red Bull-Monopol) deutlich flotter funktioniert als 2016, zeigt jedoch, dass man sich die minimalen Kritikpunkte des Vorjahres zu Herzen genommen hat und nachjustierte Kleinigkeiten am kaum vorhandenen Optimierungspotential nutzte, um dem Festival noch mehr Sympathiepunkte einzubringen. Als i-Tüpfelchen serviert man gar eine bespielte Aftershow-Party mit Leyya, Kœnig und DJ Gerd Janson im Brucknerhaus.
Obgleich der erfreulichste Unterschied zum Vorjahr also vielleicht jener ist, dass das Festival diesmal (abgesehen von wenigen Tropfen kurz vor Schluß) vor etwaigen Regengüssen verschont wird und es trocken bleibt (da kann Win Butler noch so sehr den Teufel an die Wand malen), ist das eigentliche Trumpfass natürlich auch das noch einmal imposanter gewordene Line Up.
Get Well Soon
Der von Mastermind Konstantin Gropper angeführten Band merkt man zu keiner Sekunde an, dass Get Well Soon an diesem Nachmittag ihr erstes Konzert nach einer auf die Tour zum letztjährigen fünften Studioalbum [amazon_link id=“B0170TZD5K“ target=“_blank“ ]Love[/amazon_link] folgenden neunmonatigen Pause spielen: Überpünktlich beginnend zeigt der so vielseitige (mal schlau wiegende, mal gefinkelt tanzende) Pop der Deutschen all seine Facetten vollkommen rostbefreit wie geschmiert auftrumpfend – auch wenn man diesen phasenweise doch auch ein klein wenig zu verkopft finden kann.
In knöchelfreien Hosen legt sich der Sound von Get Well Soon jedenfalls auf die wuchtige Rhythmusabteilung (Bass und Bassdrum könnten im Klangbbild ruhig eine Spur dezenter auftreten), was vor allem bei Dancefloor-tauglichen Hits wie You Cannot Cast Out the Demons (You Might as well Dance) für eine packende Dichte sorgt, während ätherische Wave-Flächen immer wieder durchatmen lassen. Bis sich Get Well Soon in einem so stoisch wie muskelspielend-drückenden Finale verausgaben, will sich zwar dennoch keine restlose Begeisterung einstellen, doch liefern Gropper und seine (in der heutigen Zeit durchaus auffällig: erstaunlich untätowierte) Band punktgenau ab.
Dass Get Well Soon hier den Opener-Slot ausfüllen, spricht jedenfall für die Güteklasse des Full Hit of Summer – und legt die Latte freilich bereits zu Beginn hoch.
Setlist:
It’s Love
The Last Days of Rome
It’s a Catalogue
Roland, I Feel You
You Cannot Cast out the Demons (You Might as Well Dance)
Marienbad
It’s a Fog
Steaming Satellites
Eventuell hat man auch deswegen das Gefühl, dass die Salzburger ein wenig Zeit nehmen, um aufzutauen. Zumindest einen stimmungsvoll aufbauenden, von Sänger Mac Borchardt fast schon lethargisch abgetauchten Song braucht das Quintett allerdings tatsächlich, um bei schwülem Sonnenschein auf Betriebstemperatur hochzufahren. „Wo ist die Liebe?“ ruft Borchardt später einmal in die wachsende Publikumsmenge. Und ja, unbedingte Euphorie will während des Sets nicht aufkommen, der Funke nicht restlos überspringen.
Dabei macht die merklich nicht an übertriebener Publikumsanimation interessierte, auf die Musik konzentrierte Band nichts falsch: Der Indierock der Steaming Satellites kann sich längst locker an internationalen Standards messen, hat Charisma und die nötigen Melodien, ist live vielleicht sogar noch griffiger und charakterstärker als auf Platte, kaschiert einige vorhersehbare standardisierte Kompositionsmomente zudem alleine mit der tollen Bass-Arbeit und verdichtet seine Songs auch ohne überkochende Stimmung aus dem Publikum mit viel Gefühl und lockerer Hüfte.
Dass die Österreicher im engen Club-Ambiente noch besser funktionieren, das weiß man – was man übrigens mit zumindest vier der fünf am Festival auftretenden Bands gemein hat. Insofern hat man die Steaming Satellites zwar schon noch zwingender erlebt, aber egal: Die Typen sind auch mit kurzer Anlaufzeit eine Bank, die man immer wieder gerne sieht, die fesselt und bewegt. Dass zudem neues Material in der Pipeline zu stehen scheint, ist nebenbei eine der feinsten Neuigkeiten des Festivals.
Setlist:
How dare You!
Rocket
Notice
[Neuer Song]
Thought Transference
Spacelab
Witches
Honey
The Sea
Timber Timbre
Daran, dass die jüngst ihr Platten-Comeback feiernden Grandaddy zum ersten Mal seit knapp 14 Jahren in Österreich hätten auftreten sollen, erinnern noch einige wenige Banner am Festivalgelände. Der unerwartete Todesfall von Bassist Kevin Garcia im Mai führte allerdings bekanntlich zu einer Absage von allen laufenden Touraktivitäten seitens der Band, betroffen eben auch das Full Hit of Summer.
So gerne man Jason Lytle mit Grandaddy freilich erlebt hätte – der Ersatz in Form von Timber Timbre kann sich mehr als nur sehen lassen. Verdammt stilvoll und adrett gekleidet stehen Anführer Taylor Kirk und seine Gang auf der Bühne. Zu einer Uhrzeit, die eigentlich viel zu hell und heiß für das rettofuturistische Synth-Blues-Gebräu ist, das die so wandelbaren Kanadier servieren. Düster, giftig und ungemütlich brodelnd schlägt der mächtige Sound der Band (der sich auch durch anhängliche technische Probleme an der Gitarre nicht ausbremsen lässt) neuerdings in die Kerbe von Nick Cave, The Drones oder Gallon Drunk, übersetzt auch ältere Songs wie das betörend-wiegende Gebläse Hot Dreams in die ästhetische Schiene der jüngsten Stilkorrektur Sincerely, Future Pollution und legt sich mit fiebrig wummerndem Druck über das Gelände.
Ausgemergelt gibt die Rhythmussektion dabei die Gangart vor, verrucht und sexy schmückt Roadhouse-Cowboy Kirk und Keyboarder Mathieu Charbonneau diese funkelnd aus, Timber Timbre bäumen sich immer wieder auf: Moment liebäugelt etwa mit dem Exzess, das eruptive Curtains?! mutiert gar zum nicht enden wollenden Krautrock-Moloch. Das sehnsüchtige Black Water erinnert hingegen dann daran, dass das dazugehörige [amazon_link id=“B004PBS8L8″ target=“_blank“ ]Creep On Creepin‘ On[/amazon_link] sich 2011 im Kampf um den Polaris Music Prize ausgerechnet gegen [amazon_link id=“B003V0EWJQ“ target=“_blank“ ]The Suburbs[/amazon_link] geschlagen geben musste. Obwohl (oder gerade weil?) die ansonsten primär auf aktuelleres Material abzielende, ohnedies tolle Setlist im Endeffekt nur als entschlackte Version der regulären Tour-Programms präsentiert, macht der Auftritt absolut Bock drauf, sich die Band am 27. September in der Arena abermals zu Gemüte zu führen.
Nachdem Timber Timbre früher von der Bühne schleichen, als es der Timetable hergegeben hätte, werden insofern verständlicherweise Rufe nach einer Zugabe laut – nicht wenige Besucher scheinen die Kombo aus Toronto als den logischeren Co-Headliner des Tages empfunden haben.
Setlist:
Sincerely, Future Pollution
Sewer Blues
Velvet Gloves & Spit
Moment
Hot Dreams
Western Questions
Curtains?!
[Until the Night is Over]?
Black Water
Grifting
[Magic Arrow]?
Explosions in the Sky
Mit einer weniger überragenden Kombo im Nacken wäre dies wohl auch der Fall gewesen. Und sicher, die prominente Positionierung der texanischen Postrocker im Line Up ist dennoch ziemlich unkonventionell und mutig – macht sich aber letztendlich restlos bezahlt: Die live zum Quintett gewachsenen Explosions in the Sky liefern mit der ihnen typischen Brillanz ab, verweben ihre zwischen filigraner Zurückhaltung und bächtigen Ausbrüchen perlenden Gitarrenteppiche zu imposanten Klanglandschaften von bezaubernder Textur. Variieren Intensität und Dynamik, bearbeiten kurzzeitig eine zusätzliche Snare für einen rhythmischer noch zwingenderen Rausch, und beschwören vor der langsam untergehenden Sonne mittels einer leidenschaftlichen Performance beinahe magische Szenen, die sich über epische Spannungsbögen als heimliches Highlight des Festivals entpuppen.
Denn auch wenn Postrock per se nicht jedermanns Kaffee ist – im Umfeld des Full Hit of Summer funktionieren die die vielschichtigen Klangmalereien der Band eine akribische, mitreißende und emotional fesselnde Strahlkraft als Kopfkino-Sondtrack zum langsam ausklingenden Tageslicht.
Selbst Probleme wie eine versagende Gitarre und der irgendwann einknickende Bass, oder ein in den ruhigen Passagen gelegentlich keppelndes Publikum (die typische Genre-Konzertkrankheit halt) ändern da nichts an der Kurzweiligkeit des Auftritts, an der neuerlichen Machtdemonstration der Genregröße Explosions in the Sky. Mehr noch: Live ist das abermals besser, als auf den ohnedies schon so starken Studioplatten wie Take Care Take Care Take Care oder The Wilderness.
Setlist:
The Birth and Death of the Day
The Ecstatics
Your Hand in Mine
Disintegration Anxiety
The Only Moment We Were Alone
Arcade Fire
Die drei Vorabsingles Everything Now, Creature Comfort und Signs of Life konnten einem mit ihrem latenten Hang zum eindimensionalen Schlager-Sound und missverstandenen ABBA-Plattitüden ja bereits durchaus Sorgen machen, was die generelle Ausrichtung des kommenden Nachfolgers zum tollen 2013er-Highlight Reflektor angeht.
Befürchtungen, die sich gemessen an den finalen 100 Minuten des Tages durchaus erfüllen könnten: Arcade Fire sind von der stilbewussten Konsensband endgültig zur puren Massenmarkt-Euphoriemaschine geworden, die bisweilen arg dicht an der Grenze zur debilen Plastik-Pop-Musik wandelt: Dass die Songs der Band immer schon auf einen unmittelbar zündenden Unterhaltunswert gebaut sind, klar. Aber dass Arcade Fire dieses Element live mittlerweile regelrecht penetrant unterstreichen und bis zur frontalen Brachialität verstärken, kann im Rahmen der Infinite Content-Tour zu einem latenten Übersättigungsgefühl führen.
Nahezu jede Nummer wird da mit unvariabel arbeitendem Uff-Zack-Beat inszeniert, alles muss simpel stampfen. An allen abgeschliffenen Ecken und Enden werden zusätzliche Passagen zum Mitklatschen eingeführt, überall will die Band „Ohohooo„- und „Nanana„-Chöre aus dem Publikum hören, die permanente Aufforderung lässt kaum organisch gewachsene Freude zu. Unbedingte Stimmungsmache lautet die Devise, da bleiben in der steten Dancefloor-Dringlichkeit kaum noch Nuancen über.
Régine Chassagne nutzt stattdessen im wilden 80er-Outfit jede Gelegenheit zu sexy in Pose geworfenen Flashdance-Übungen, tanzt in einen nebulösen Tunnel ab und packt irgendwann gar die Pompons-Schlangen aus, während Win Butler sich etwas ungelenk in die Rolle der Fontsau wirft und ein überraschend deutliches Interesse an Hip Hop-Gesten erkennen lässt. Manche der im genormten College-Jacken-Look antretenden Mitglieder (genauer: Richard Reed Perry und vor allem der im neongrellen Schuh-Mix umherspringende Allrounder Will Butler) gebärden sich sogar mitunter wie demaskierte Slipknot-Clowns auf Speed, nerven als unermüdlich überschäumende Anheizer und daueranimierende Stadiongesten-Fließbänder – in den schlimmsten Momenten wirkt das, als würden Arcade Fire manische Fast Food-Interpretationen vielschichtiger Juwelen kredenzen.
Was eben spätestens dann einen ermüdenden Over the Top-Effekt erreicht, wenn sogar die eigentlich intim eröffnenden Anfänge von Windowsill jeglicher Subtilität beraubt einen muskulös pumpenden 4-to-the-floor-Rhythmus akzentuiert bekommen, nicht einmal mehr Neon Bible zur Einkehr ruft. Sicher, Arcade Fire destillieren mit dem enormen Fokus auf die simple Tanzbarkeit sicherlich eine zusätzliche Schmissigkeit in ihrem ohnedies so eingängigen Songwriting. Dennoch mutet das Set der Kanadier an, als hätte die Band ihre Kompositionen im Livegewand mittlerweile einer gewissen Eindimensionalität untergeordnet und ihre Klasse damit auf eine platte Mumford and Sons-meet-The Killers-Ebene beschränkt.
Fraglos erreichen Band aus Montreal in dieser Ausrichtung inzwischen nicht nur ein noch größeres Publikum – es frisst der Band auch unmittelbar aus der Hand. Nicht zu unrecht: Arcade Fire haben die mitunter bisher wohl beste Setlist ihrer aktuellen Tour zusammengebastelt (auch, wenn Intervention diesmal fehlt) und zünden ihr Disco-Indierock-Spektakel mit einer ohne jegliche Längen auskommenden Energie, der man sich – selbst, wenn man die Entwicklung der Band eben keineswegs gut heißen möchte – schlichtweg kaum entziehen kann. Mögen die drei neuen Songs auch mutmaßlich einen kreativen Offenbarungseid ankündigen und die restliche Setlist von der Klangästhetik her definieren, kann auch die Ambivalenz aus Arena-Würgegriff und 80er-Pop-Weichspüler all die zeitlosen Schönheiten der Band kaum kaputtkriegen.
Gleich das majestätische Wake Up beschwört etwa ein dramatisches Gemeinschaftsgefühl, bis Win’s Rassel in die Menge fliegt – das erhebende Momentum kann eben höchstens kaschiert werden. The Suburbs hängt mittlerweile eine stompende Glitzerkugel über das Barpiano, No Cars Go versucht sich an der Spitze startend immer weiter zu steigern, und die drei Reflektor-Vertreter gehen noch intensiver in die Beine, schöpfen ihre Spannweite ergiebig aus – Afterlife wird, wo ohnedies ein reger Wechsel zwischen den Instrumenten herrscht (nicht unbedingt notwendigerweise, aber aufmerksamkeitshaschend), mit zwei Drums gespielt und hätte den eventuell idealen Höhepunkt der Show im Windschatten von LCD Soundsystem markiert. Das Publikum feiert jedenfalls die gesamte Zeit über frenetisch und euphorisch – nach der relativ ansatzlosen Zugabe um die fulminant ausgebreiteten Neighborhood #3 (Power Out) und Rebellion (Lies) hört man nicht wenige Besucher sogar Superlative wie „besten Band der Welt“ oder „Konzert des Jahres“ in den Mund nehmen.
Ansichten, die man nicht notwendigerweise derart begeistert teilen muss, um trotz allem zustimmen zu müssen, dass so ein Abend mit Arcade Fire enorm belebend sein kann, satte 19 Songs sogar plötzlich arg knapp bemessen anmuten, und der Auftritt in Verbindung mit dem überschaubaren Ausmaß und charmanten Ambiente des Full Hit of Summer sogar etwas durchaus unvergessliches an sich haben kann. Ein Brimborium, das im kommenden Jahr schwer zu toppen sein wird – der bisherigen Formkurve folgend traut man es dem mutmaßlich stärksten Festival Österreichs allerdings durchaus zu, mag die Luft nach oben auch noch dünner geworden sein.
Setlist:
Intro: Everything Now Slow
Wake Up
Everything Now
Haïti
Here Comes the Night Time
Chemistry
Signs of Life
No Cars Go
Windowsill
Neon Bible
The Suburbs
The Suburbs (Continued)
Ready to Start
Neighborhood #1 (Tunnels)
Sprawl II (Mountains Beyond Mountains)
Reflektor
Afterlife
Creature ComfortEncore:
Neighborhood #3 (Power Out)
Rebellion (Lies)
1 Trackback
- Arcade Fire - Everything Now - HeavyPop.at - […] überraschend ist allerdings, dass dieser Ansatz nun im Albumkontext doch merklich besser (und zudem weniger gleichförmig als der MO…
Thomas - 24. Juli 2017
Bis zu Arcade Fire ist das ein guter und gelungener Rückblick, doch was dann passiert, ist eigentlich mit Worten nicht zu beschreiben. Wie kann man einen Typen, der die Band bzw. die Entwicklung der Band dermaßen verachtet, diese Kritik schreiben lassen? Das spiegelt nicht einmal ansatzweise das Konzert wider. Das ist an Subjektivität und Einseitigkeit nicht zu überbieten. Nicht umsonst wurde der Auftritt der Band auf quasi jedem Medium gelobt. Vielleicht sollte das nächstes ein/e andere/r Redakteur/in hinfahren…