Ad Nauseam – Imperative Imperceptible Impulse
Was für eine Kür: Ad Nauseam spielen auf Imperative Imperceptible Impulse die progressiven Schmerzgrenzen auslotenden Avantgarde Tech Death Metal, vollgepackt mit existentialistischer Extravaganz und unorthodox-bizarrer Atonalität nahe der diffusen Ideallinie.
Vor sechs Jahren hatte das Quartett aus Italien mit Nihil quam vacuitas ordinatum est bereits einen eindrucksvollen Einstand geliefert (zumindest unter dem Banner Ad Nauseam, nachdem man als Kaos bzw. später Death Heaven bereits seit 2002 miteinander musiziert): Hinter der auch generischen, technisch virtuosen Oberfläche war das Debüt ein hochkomplexes und scheinbar unberechenbares Geflecht mit eigenwilligen Manierismen, das all die Vergleiche zu Säulenheiligen wie Gorguts und deren legitimen Nachfolgern wie Ulcerate sowie auch nahverwandten Grenzgängern a la Pyrrhon, Imperial Triumphant oder Portal durchaus rechtfertigte – während die Band selbst auch heute noch davon spricht, in ihrem polymorphen Gewächs aus „death/black metal, avantgarde, jazz, post-core, doom/sludge and ambient“ dezitiert Einflüsse von klassischen Komponisten wie „Stravinsky, Šostakóvič, Xenakis, Scelsi, Penderecki and Ligeti“ zu verarbeiten.
Imperative Imperceptible Impulse macht dort nun nicht nur chronologisch gereiht weiter und übernimmt nahtlos die ambitionierten Motive des Vorgängers, sondern verstärkt dessen Ansätze mit einer klareren Identität und ergiebigeren Amplituden.
Alleine das Baugerüst der sechs Songmonolithen (keiner davon kürzer als mindestens achteinhalb Minuten) in der Vorbereitungsphase provoziert schließlich die Extreme, stellt Konzepte über Disharmonie und Dissonanz auf ein Podest, indem die Band erst viel Zeit dafür benötigte, um das richtige Instrumentarium zu finden – „researching, designing and building most of the equipment used for the recordings (drums parts, cabinets, bass/guitar/studio-related electronics) and collecting mainly vintage, odd and uncommon gears“ -, dann eigene Stimm-Modulationen erstellte, um unbedingt aus der Komfortzone der orthodoxen Harmonie-und Melodie-Lehre auszubrechen, und letztendlich auch noch endlos am Aufnahmeprozess tüftelte: Das Ergebnis ist eine Produktion in Eigenregie, die so makellos organisch klingt und digital auch mit Full Dynamik Range angeboten wird. (Was freilich keine Rechtfertigung ist, sich das atemberaubende Raoul Mazzero/ View from the Coffin-Artwork von Imperative Imperceptible Impuls nicht auch physisch ins Plattenregal zu stellen).
Mag es unterbewusst auch eine latente Enttäuschung sein, dass die daraus resultierenden 57 Minuten mit dieser Vorgeschichte nicht noch weiter draußen agieren – die Hörgewohnheiten zwar herausfordern, aber nicht komplett neu verorten, keine ikonischen Mindfuck-Epiphanien bieten, Toleranzgrenzen ausfüllen ohne sie zu erweitern – kurz: Imperative Imperceptible Impuls fühlt sich letztendlich einfach nicht restlos wie ein neuer Klassiker in der Riege von beispielsweise einem Obscura, Dead as Dreams oder Written in Waters an – tritt die Platte doch wie ein potentielles Benchmark-Werk auf, der man es auch als Vorzug auslegen muß: Wo ähnlich veranlagten Alben oft der Zweck verloren geht, für den die Mittel benutzt werden – die Form den Inhalt definiert und der Wald vor lauter Bäumen und unzähligen Verästelungen nicht mehr sichtbar ist – bleibt Imperative Imperceptible Impuls trotzt seiner abstrakten Ästhetik und gezielt radikalisierten Strukturvertracktheit doch stets dem Songwriting und der Stimmung dienlich, lässt eine klare Linie im perfekt ins Detail konzipierten Chaos erkennen.
Desorientiert machend finden die Kompositionen stets mit einer delirant-euphorisch einwirkenden Manie zu ihren Zielen, surreal transzentental und brachial körperlich, unbequem einladend. Exponentiell steigt mit jedem Durchgang die Wertschöpfung, der Hautgout verliert nicht an Reiz, wenn sich das Staunen zu legen beginnen. All die Ideen fügen sich vielmehr immer klarer zu einem ständig mutierenden, die Auslage und Gewichtung, das Tempo und die Dynamik variierenden Mahlstrom zusammen, das Adrenalin greift mysteriös und erzeugt eine Sucht, beschwört eine masochistische Hingabe, die mit so vielen Szenen befriedigt, die sich in die Synapsen fräsen.
Sub Specie Aeternitatis hyperventilierend akribisch gezirkelte Gitarren, polyrhythmischen Takte, einem fantastisch eingefangenem Bass und greinend variabel growlend-fauchenden Vocals. Zur Mitte hin dreht sich die Nummer fast psychedelisch im Kreis, taucht die Drums polternd durch Soundschleifen der kryptischen Spannungsbogen in den Suspence, zieht die Schrauben im weiten Panoptikum immer manischer: oberflächlich sedativ, wie in Trance brütend, unterschwellig psychotisch. Streicher werden mit einer nicht und nicht platzen wollenden Geduld auseinander gezogen und kippen dann mit einer plötzlich anwesenden Präsenz ins Zentrum. Ad Nauseam dehnen weiter bis zum nahtlosen Übergang in das apokalyptische von der Tarantel gekloppte Inexorably Ousted Sente. Wer den alten Vergleich vom Wildwasser-Rafting ohne Paddel ins Spiel gebracht hat, er liegt nicht falsch, in dieser Welr aus krummen Geraden und runden Ecken, in dem das Tempo nach und nach gedrosselt wird, in einen Meshuggah‚esken Math von hypnotischer Sogwirkung verfällt.
Coincidentia Oppositorum fächert sich dagegen zum sinnierenden Gitarren-Alleingang in der Zeitlupe eines diffusen Noir-Kellers auf, um dessen Motive die restliche Band erst eruierend aufblüht und dann für einen sprunghaften Wirbelsturm losbricht, der an zahlreichen Fronten seine Extreme im explodierenden Schützengraben zäumt. Nach knapp der Hälfte der Spielzeit scheinen sich alle Beteiligten und Instrumente auf einen Kompromiss zugunsten der einleitenden Basis geeinigt zu haben. Doch der Konflikt atmet und mutiert, will sich nur bis zum nächsten hirnwütigen Schub bändigen lassen und wirkt dann wie eine tackernde Djent-Vatianten von Deathspell Omega oder Serpent Column; wie ein klaustrophobischer Kraftakt, um eine harsche Brutalität in präzise verzahnte Spasmen zu konzentrieren. Dass der Komposition ein finaler Entwicklungsschritt als Katharsis zu fehlen scheint, wird vom restlichen Albumgefüge getragen.
Das Titelstück Imperative Imperceptible Impulse beginnt als Übergang zur Zukunft der Band als abseitige Streicher-Partitur, über die ein Morast purer Hässlichkeit kippt. Die Gitarren flimmern die Pentatonik reizend als aufblitzende Irrlichter über dem massiv bolzenden Korpus, der sich selbst zu zerfleischen scheint. Wieder lenken Ad Nauseam ihre Aggressionen rund um die drei Minuten Marke in einen synergetischen Fluss, entwickeln einen verstörenden Strom, der sogar mitbrülllbare Hooks frontal zu Karambolage evoziert: es droht unter immer enger gestellten Brennpunkten alles aus dem Leim zu laufen und gleichzeitig so viel fester angerührt zu werden. Dieser Mahlstrom hat jedenfalls etwas reinigendes, weniger angestrengt konstruiert als instinktiv erzwungen.
Horror Vacui agiert so am Rande des Nervenzusammenbruchs als schaulaufende Machtdemonstration, als kompakt stehendes Aushängeschild der Platte – das nach knapp drei Minuten in den Noir-Nebel verschwindet, diesen gegen tektonischen Funeral Doom aufwiegt, zähflüssige Tiraden würgt und mit einer melancholisch ausfransenden Träumerei konterkariert, bevor die Abrissbirne den Rahmen schließt , dämonisch skandiert und grindig knüppelnd.
Im abschließenden Human Interface To No God drückt die Rhythmusabteilung mit verquerer Dringlichkeit auf das Gaspedal, die Gitarren verzahnen sich wie ein zwischen Genie und Wahnsinn keinen Unterschied machendes Uhrwerk. Und plötzlich ist da wieder der schief schlurfende Jazz, als hätten frühe Bohren & der Clb of Gore ihre Alpträume in der Black Lodge mit schleichendem Reverb und Besen-Schlagzeug sanft kurierend verklingen lassen.
Wie verdammt gut dieser versöhnliche Abschied tut, wird dann eben auch mit jedem neuen Durchgang offenkundiger. Und auch, wie unpackbar kurzweilig diese Odysee in ihrer ausnahmslos essentiellen Substanz, niemals prätentiös verklärten Kopflastigkeit doch ist. Wer dann auch noch Raum für existentialistische Fragen der Band erforschen will, geht deswegen auch nicht zwangsläufig verloren, denn die Antworten finden sich geradezu auch in der konsequenten Überforderung: „I feel I woke up/ in another dream/ If I could hear all the sounds of the world/ I would recognize my own steps/ walking in a single-instant all of my lifes.„
3 Trackbacks