2024: 30 EPs
Stand Jetzt müsste man dem EP-Format keine allzu lange Lebensdauer mehr zutrauen. Denn wo im Streaming-Zeitalter Mini-Alben längst als vollwertige Langspieler ausgegeben werden, um dem Algorithmus entgegenzukommen, ist manspätestens heuer auch zum weitaus nervenderen Trend übergegangen (bzw. im exzessiven Ausmaß in die Hochphase der CD zurückgekehrt), regulären Alben kurz nach deren Release noch mindestens eine Special Edition nachzujagen, anstatt das zusätzliche Material separat als EP zu veröffentlichen.
Bleibt abzuwarten, wo sich dieser Ansatz hin entwickelt. Vorerst lassen sich aber noch mehr als genug fabelhafte aktuelle EPs finden.
An dieser Stelle bekommen 30 davon noch einmal ein kurzes, alphabetisch gereihtes Spotlight. Wobei viele potentielle Kandidaten für die Liste den schwarzen Peter gezogen haben – nämlich alles, was offiziell in die Nähe eines Split-Releases kommt oder nominell als Single firmiert.
| HM | EPs | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 | Playlisten |
Agriculture – Living is Easy
Review | Spotify
Agriculture erreichen mit Living is Easy jene Blackgaze-Höhen, in die das selbstbetitelte Debütalbum der Band aus Los Angeles im Vorjahr gar zu überschwänglich hochgejazzt wurde. Ein bisschen so, als würden Deafheaven kürzere Songs schreiben und in diese rund um folkige Atempausen Melodien verweben, die so auch in Westernfilmen über glückselige Heimkehr-Szenarien nicht fehl am Platz wären?
Antenna – Antenna
Review | Spotify
Wie groß die Versprechen waren, die Royal Headache dem Garage Rock und Punkrock dereinst gaben, ruft die Zeitkapsel Live in America in Erinnerung. Dass Soul-Meister Shogun diese doch noch einlösen könnte, stellt dagegen die ziemlich furiose selbstbetitelte EP seiner neuen Band Antenna in Aussicht.
Bon Iver – Sable,
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„I am afraid of changing/ And when it comes a time to check and rearrange shit/ There are things behind things behind things“ singt Justin Vernon, nachdem er zwei Alben lang keine Angst vor elektronischen Veränderungen hatte und kehrt für Sable, in die Folk-Intimität seines Debüts zurück. Das ist drei Songs lang vielleicht nicht ganz so magisch, wie For Emma, Forever Ago es für immer sein wird, aber dennoch ein unendlich schöner Seelenbalsam, wie man ihn nicht mehr von Bon Iver erwartet hätte.
Candy – Flipping
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Nach den elektronischen Extremen, die Candy auf It’s Inside You nur wenige Monate zuvor auch dort ausloten, wo Code Orange keine Trittsicherheit mehr beweisen, ist Flipping zwar der Schritt zurück zur Hardcore-Heimat bei Tripple B Records – aber alles andere als ein Signal zur Kompromissbereitschaft.
Cavern Womb – Stages of Infinity
Review | Spotify
Cavern Womb haben nicht nur den Sound und das Artwork, sie spielen ihren Progressive Death Metal auf Stages of Infinity auch hart entlang der Ideallinie: versifft röchelnd und präzise akzentuiert, knackig, animalisch, komplex und psychedelisch ausufernd. Ein bisschen so, als würden Blood Incantation ihre 70s-Rock-Vorliebe gegen ein Amalgam aus der Essenz von Tomb Mold und Demilich eintauschen.
Chants de Rats – L’Ivresse
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Fünf Jahre nach ihrer ersten EP schleusen die vier französischbrüllenden Österreicher wieder ein paar melodische Reibungsflächen in ihrem Grindcore-Fleischwolf, türmen diesen aber letztlich regelrecht postmetallisch auf. Das ist gerade als Ganzes extrem befriedigend – und macht mit gerade einmal zehn Minuten Spielzeit die Wartezeit wert.
Counterparts – Heaven Let Them Die
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Die Kanadier prügeln ihrem Metalcore beinahe alle melodischen Zugeständnisse aus dem Leib und konzentrieren sich ganz auf die brutalen Grundfeste ihres Wesens. Das beschert Counterparts auf 16 Minuten destilliert ein Karriere-Highlight.
Deary – Aurelia
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Ben Easton und Rebecca ‚Dottie‘ Cockram, das als Deary firmierende showgazende Dreampop-Duo aus London, unterstreicht mit seiner zweiten EP Aurelia den selbstbetitelten Debüt-Einstand aus dem Vorjahr: betörend, ätherisch. Dass Slowdive-Drummer Simon Scott seine Finger mit im Spiel hatte, kann schließlich als Qualitätsgarantie verstanden werden.
Taylor Dupree – Ash
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Der 53 jährige New Yorker ist seit rund zwei Dekaden ein Meister im Erschaffen imaginärer Bildwelten durch Töne. Ash, seine zweite EP neben dem dronigen Aer in diesem Kalenderjahr, zeigt mit ihrer vagen Andeutung von vergänglicher Schönheit insofern weniger aus dem Gesamtwerk auf, als dass es eine fast sentimentale Erinnerung daran ist.
Eremit – Rise of the Ruan~angh
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Stamm-Schlagzeuger Marco Baecker hat die Band aus Osnabrück kurz nach der Veröffentlichung von Rise of the Ruan~angh verlassen, trägt davor aber noch zu einer beeindruckenden Doom-Machtdemonstration von Eremit über zwei Songs (bzw. 35 Minuten) bei, die das Niveau von Wearer of Numerous Forms (2023) mindestens halten.
Escuela Grind – DDEEAATTHHMMEETTAALL
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Die ziemlich sicher kontroversest wahrgenommene Band am aktuellen Grindcore-Horizont hat auf ihrem aktuellen Studioalbum Dreams on Algorithms sicher eine größere Bandbreite gezeigt, als sie ihre Pseudo-Death Metal-Verneigung in EP-Form nutzt. Aber hier ist mit dem von Napalm Deaths Barney Greenway beehrten Meat Magnet eben der womöglich beste Song in der steilen Karriere von Escuela Grind an Bord.
Final Resting Place – Final Resting Place
Review | Spotify
Final Resting Place spielen ihren 90er Brutal Death Metal als Beatdown-Slamdance. Und sicher: Ohne den absurden Mix der Platte, den Magengruben-Bass und den Sound der Drums würde das alles nur halb soviel Bock machen. Weswegen es interessant wird, ob die Daze-Band ihr herrlich stumpfes Trendbewusstsein auch derart zwingend auf das Albumformat übertragen können wird.
Foxtails – Home
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Zwei Jahre nach ihrem Durchbruchsalbum Fawn gehören Foxtails immer noch zu einer Reihe an Bands, die klassischen Screamo nicht als Komfortzone für die eigene Verzweiflung sieht. Mit Home meint die Gruppe um June Benham also auch Post Rock, Chamber Folk und Art Emo Punk. Und zwar so, als wäre es die natürlichste Sache der Welt.
Frontierer – The Skull Burned Wearing Hell Like A Life Vest As The Night Wept
Review | Spotify
Frontierer werden sich wahrscheinlich für immer an ihrem Meisterstück Oxidized von 2021 messen müssen. Mit The Skull Burned Wearing Hell Like A Life Vest As The Night Wept tun sie das aber auf bestmögliche Weise – indem den Spagat zwischen Trademark-Schaulaufen und neuen Facetten wie einen verdammten Roundhouse-Kick der Extraklasse anlegen.
Glass Beams – Mahal
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2021 hat sich diese aus Australien kommende Alternative zu Khruanbin in Melbourne formiert. Nun ruft sie ihren psychedelischen Instrumentalrock auf der ihr so gut stehenden EP-Länge nahezu ideal ab, als Trip um die indischstämmigen Wurzeln von Mastermind Rajan Silva.
Hit-Boy & The Alchemist – Theodore & Andre
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Theodore & Andre ist mit 10 Minuten Spielzeit natürlich viel zu kurz – die Zusammenarbeit von Hit-Boy (im Jahr 1 nach Nas) und The Alchemist (im Jahr 1 nach Voir Dire) ist immerhin ein superbes, ebenso klassches wie modernes Hip Hop-Schaulaufen aus unfehlbarer Kompetenz, Nonchalance und Wendigkeit.
KOAN Sound – Evocation
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Produktions-Meisterhand aus Bristol: Auf dem Nachsatz zu ihrem 2023er Album Led by Ancient Light verbinden Jim Bastow und Will Weeks einmal mehr in ihrer Club-Affinität tanzbare Future Garage-Bausteine mit neoklassizistisch schwelgenden Parts am Klavier samt sporadisch begleitenden orchestralen Arrangements. Natürlicher sind die Nicht-Gegensätze dabei bisher noch keine Symbiose eingegangen.
Lathe – Hillclimber
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Neues Lineup, alte Stärke: Tyler Davis schickt Lathe von den angestammten Western-Doom-Pfaden weiter zum Horizont des Postrock auf einen Roadtrip zwischen Grails und Earth. Den einzigen Vorwurf, den man ihm dabei machen kann, ist der Umstand, dass das ausführlichere Album-Format dem Wesen diesen Reisen ergiebiger in die Karten spielt.
Liberate – The Tide
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Das Quintett aus New York provoziert mit seiner Debüt EP eine ähnliche Euphorie, wie seinerzeit die ersten Schritte von Vein(.fm) entfachten: der Sound des metallischen Hardcore steht mit einem Bein in der Vergangenheit und tritt mit der anderen hungrig nach vorne. Dass Liberate sich mit Geschichte auskennen und interessante Nebenprojekte am Start haben, rundet die Sache zusätzlich ab.
Maruja – Connla’s Well
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Der Erfolgslauf von Maruja geht ein Jahr nach Knocknarea mit noch höherer Output-Rate und konstanter Formkurve weiter: Flankiert von der Proberaum-Machtdemonstration The Vault und der Standalone-Single Break the Tension ist die Post-Alles-Songsammlung Connla’s Well das bisher rundeste, kompletteste Zeugnis über die Art-Post/rock/punk-Klasse der Briten.
Mary in the Junkyard – This Old House
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Ihre beiden bisher eventuell besten Songs parken Mary in the Junkyard mit Tuesday und dem überragenden This is My California zwar ausgerechnet abseits ihrer ersten EP. Doch gerade als Ganzes zeichnen die 18 Minuten von This Old House ein enorm stimmiges Bild, wenn es darum geht, warum dieses Trio aus Greater London (woher sonst?!) mit seinen anachronistischen Indie Rock demnächst eigenwillig durch die Decke gehen müsste.
Night Tapes – Assisted Memories
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Mit To Be Free haben Night Tapes unlängst den ersten Vorboten ihres Debütalbums veröffentlicht. Der hält den Kurs der bisherigen vier EPs des Londoner Trios bei – also ungefähr dorthin, wo eine bei Sinnen agierende Grimes von Tame Impala agieren könnte. Dass die Band das Niveau des bezaubernd somnambulen Assisted Memories halten wird können, deutet sich dabei zumindest vorsichtig an.
Presentation – Transsexual Meat
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Coral Mercy („all instrumentation, vocals, and production“) aus New Orleans lädt auf der Debüt EP von Presentation zu einem verstörende Abstieg in die beklemmende elektronische Vorhölle aus Industrial und Noise ein – ungefähr in die Nähe von Pharmakon und The Body. Vielversprechend!
Reia Cibele – Reia Cibele
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Während in jüngerer Vergangenheit gefühlt alle alten Helden der Screamo-Hochzeit wiedervereinigen, mangelt es dem Genre auch nicht an Nachschub durch neuen Veteranen wie Shadow Pass oder mis sueños son de tu adiós. Weil Reia Cibele aus Lissabon in diesem Umfeld gleich dahinter schon mit ihrer Debüt EP derart vielversprechend mit der Tür ins Haus fallen, haben sie sich aus dem Stand weg besondere Aufmerksamkeit verdient.
Sawtooth Grin – Jabberwocky
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Das Jabberwocky-Material wäre einfach zu gut gewesen, um es als unvollendetes, seit rund einer Dekade in der Schublade dahinsiechendes Bootleg-Spektakel zu verschwenden. Dass sich Sawtooth Grin mit Ex-Dillinger Bassist Kevin Andreassian als Produzenten der Altlast angenommen und in einen Zukunfts-Katalysator umgewandelt haben, ist deswegen ein kleiner Fan- und Szene-Traum.
Sylvaine – Eg Er Framand
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Dass die Norwegerin den Alcest‘esken Blackgaze kann, hat sie zuletzt 2022 auf Nova gezeigt. Der sparsam eingesetzte, ambiente Folk aus einer anderen, mystischen Zeit, der ihre erste eigene EP Eg er framand speist, steht der wahrlich traumhaften Stimme von Sylvaine allerdings sogar noch besser. Myrkur‚esk!
Thosar – Build on Bodies
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Auch wenn Thosar seit vier Jahren konstant hochklassig abliefern, ist es immer noch jedes Mal aufs Neue beeindruckend, wie umpackbar gut das Bass/Schlagzeug-Duo aus Weiz seinen doomigen Sludge durch den harschen Grind brettern lässt und dabei eine ausgewogene Balance zwischen den Extremen findet: Sound, Performance und Songwriting sind eine Einheit, die vielleicht nie einen erhebenden Erfüllung als mit (dem referenziell so passend betitelten) Passing The Torch gefunden hat.
Ugly (Uk) – Twice Around the Sun
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Der nächste spektakuläre Rohdiamant aus dem Windmill-Umfeld muss sich notgedrungen einen örtlichen Klammerzusatz im Namen gönnen. Allerdings hat alleine Twice Around the Sun genug Staub aufgewirbelt, dass der so stramm in leichter Schieflage anziehende Art/ Folk Rock der Band mit seinen dramatischen Harmoniegesängen bei allen Vergleichswerten bereits unverwechselbar ist. Spätestens, wenn das Sextett Hits wie Sha auspackt.
Usurp Synapse – Polite Grotesqueries
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Dass die legendäre grindige Emoviolence-Band aus Indiana wieder existiert (und nichts verlernt hat!), hat sich 2023 durch zwei Singles klammheimlich angekündigt. Nun besiegelt die Band ihr Comeback durch spastische sieben Songs in acht Minuten. Die zeigen übrigens nicht nur, wie verdammt viel Daughters dem Vermächtnis von Usurp Synapse verdanken.
Yannis & The Yaw – Lagos Paris London
Review | Spotify
Indie-Mathematiker Yannis Philippakis hat Dank des unersetzlichen Afrobeatgottes Tony Allen (und seinen grandios aufspielenden Session-Kumpels) Songs zu skizzieren begonnen, die mit einer nonchalanten Lockerheit schlicht und einfach besser sind als das Meiste, was seine Foals in den vergangenen Jahren erzwungen haben. Alleine das erhabene Rain Can‘t Reach Us ist dabei Beweis genug.
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