2020: 20 Kurzformate

von am 6. Januar 2021 in Featured, Jahrescharts 2020

2020: 20 Kurzformate

Eine neue Mode, die zu Beginn des Jahres noch zu grassieren schien, als noch nicht klar war, dass die Pandemie das gesamte Jahr derart hartnäckig im Griff haben würde, hat sich über die Monate aufgehört: Alben vorab scheibchenweise als EPs zu vertreiben. Gut so so – eine Haley Williams beispielsweise hat dieser Trend trotzdem den Platz in dieser Rangliste gekostet.

Was sich noch beobachten ließ: Die Kombination aus entfallenem Touralltag und dem monatlichen Bandcamp-Friday, den sich viele Künstler verständlicherweise nicht als Einnahmequelle entgehen lassen wollten/ konnten, zog 2020 eine schier unendliche Zahl an Cover-Veröffentlichungen nach sich – man hätte diese Liste gefühlt sogar ausnahmslos mit gelungenen Fremdinterpretationen von Marissa Nadler über James Blake bis Death Cab for Cutie füllen können. Käme es hart auf hart, müsste sogar ein Großteil der EP-Reihe der dieses Jahr so richtig durchstartenden Two Minutes to Late Night-Show ihren Platz hier verdient haben.
Aber auch (weitestgehend) auf Originalmaterial beschränkt und Singles weitestgehend ausklammernd gab es genug potentes Material, um selektieren zu müssen – nicht alle der drei meistgelesenen Kurzformat-Besprechungen (nämlich: Terminal Aggressor II, My Future und Dick Privilege) der vergangenen zwölf Monate finden sich deswegen hier wider.

| HM | Kurzformate  | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01  |

Amer - UnverheiltAmer – Unverheilt

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Auch annähernd ein Jahr nach seinem Erscheinen hat Unverheilt absolut nichts von seiner Sogkraft eingebüßt. Im Gegenteil: Die vier Songs hier sind in den vergangenen Monaten sogar stetig weiter gewachsen und liefern sich einen anhaltenden, kompromisslosen Kampf um die Highlight-Krone der EP. Einigen kann man sich jedoch zumindest darauf, dass ohnedies jeder einzelne ein Fest für Freunde der gepflegten Post Metal/ Screamo/ Sludge-Melange von internationaler Klasse darstellt.

The Boozehounds - 99 BottlesThe Boozehounds – 99 Bottles

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Zählen diese knapp 24 Minuten oder 103 (manche Flaschen bekommen eben doppelte Strophen) Songs offiziell überhaupt als EP? Egal! Wenn Mitglieder von unter anderem Pantera, Slayer, Mastodon, Trivium, Dillinger Escape Plan, Down, Eyehategod, Arch Enemy, Crowbar, Type O Negative, Sepultura, Fear Factory, Hatebreed, Napalm Death, Cloud Rat, Machine Head, The Illegals, Exhorder, Municipial Waste, Scour oder Nails über den Zeitraum von über 7 Jahren ihren Teil zum Reise-Evergreen 99 Bottles of Beer zusammengetragen, dann hätte sich das Ergebnis alleine aus Namedropping-Gründen Aufmerksamkeit verdient. Hier gelistet ist das illustre Schaulaufen aber, weil das Ergebnis so verdammt viel Spaß macht. (Und damit ein anderes namhaftes Zusammentreffen knapp aus dieser Liste gekickt hat).

Crush - SundownCrush – Sundown

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Drei Songs lang bestätigen Crush, dass die Band aus Graz längst ein Patentrezept gefunden hat, um ihren verträumten Shoegaze-Pop absolut zuverlässig und schmissig zum Ohrwurm und Hit zu dirigieren – bis der sphärisch schwelgende Synth-Titelsong von Sundown so ergiebig in die 80er abtaucht, wie keine andere Nummer es bisher im ausfallfreien Portfolio des Quintetts tat: Eine der schönsten Überraschungen 2020.

Detractors - DetractorsDetractors – Detractors

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Wundgegröhlte Stimmbänder und hymnisch hetzende Gitarren: Detractors aus Minneapolis versuchen die ewige Frage, wie denn ein Bastard aus High on Fire und Motörhead im Hardcore Punk klingen könnte, mit sechs kerosinstarken Hits und assigem Suchtpotentialzu klären.

Dragged Into Sunlight - Terminal Aggressor IIDragged Into Sunlight – Terminal Aggressor II

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Auch der enervierende Kampf mit Prosthetic Records konnte nicht mehr Wirbel machen als die Tatsache, dass Dragged Into Sunlight hier – unfreiwillig – ihre bisher beeindruckendste Machtdemonstration beschworen haben: Terminal Aggressor II ist ein misanthropischer Death Doom-Hassbatzen in schmerzvoller Reinform, ein 28 minütiger Behemoth.
So sehr die Praktiken ihres Labels insofern einen Nachgeschmack hinterlassen: Acht Jahre nach Widowmaker und fünf nach der Kooperation mit Gnaw Their Tongues ist es allerdings doch auch wieder gut, neues Material von den Briten zu bekommen.

Fleshwater - Demo2020Fleshwater – Demo2020

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Die gravierendste Frage rund um Vein(.fm) war nicht, was das mit der Namensänderung soll. Sondern, wann Fleshwater endlich nachlegen. Immerhin hat die erste Demo des mysteriös bleibenden Nebenprojektes auch nach der Rückkehr der 90er-Helden Hum und der Revitalisierung der Deftones nichts von ihrer elektrischen Anziehungskraft verloren.

Infant Island - SepulcherInfant Island – Sepulcher

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Vielleicht haben sich Infant Island keinen Gefallen damit getan, Beneath erst nach der an sich später fertig gestellten EP Sepulcher zu veröffentlichen – immerhin haben wir es hier mit einer Band zu tun, sie über sich selbst und Screamo-Attribute hinaus zum Ambient und Referenzwert wächst. Das macht das da noch nicht mithalten könnende, nichtsdestotrotz tolle zweite Studioalbum dann eben zu einer zwangsläufig etwas enttäuschenden Angelegenheit.

Khruangbin & Leon Bridges - Texas SunKhruangbin & Leon Bridges – Texas Sun

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Abseits von Texas Sun hatten Khruangbin das mit selektiven Highlights berieselnde Mordechai zu bieten, Leon Bridges brachte in Eigenregie oder anderen Kooperationen einige okaye bis nette Singles auf den Markt – doch beinahe ausnahmslos nur auf den vier hier im Verbund geschaffenen Songs konnten die beiden Parteien ihr Potential ergiebig entfalten. Notfalls hätten diese 20 Minuten warmer Soul-Psychedelik nämlich auch ganz alleine durch den Sommer tragen können.

Lamp of Murmuur - The Burning Spears Of Crimson AgonyLamp of Murmuur – The Burning Spears of Crimson Agony

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Weiterhin ist so gut wie nichts über M. aus Olympia, Washington – den Mann hinter Lamp of Murmuur bekannt. Außer, dass die Rechnung im Black Metal ohne ihn derzeit einfach nicht aufgehen kann. Zu bestechend ist sein Repertoire, seit er 2019 begonnen hat, die Szene mit Veröffentlichungen zu überschwemmen – wozu auch das offiziell als Demo firmierende The Burning Spears of Crimson Agony seinen Teil beiträgt und rohen, catchy BM zu ästhetischen Ambientpassagen führt.

Malevolence - The Other SideMalevolence – The Other Side

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Während anderswo der Hype nur bedingt eine Grenze zwischen hipper Modemarke und kompetentem Hardcore macht, bieten Malevolence nicht nur das prollig-nerdigere Merch an, sondern sind dazu nicht nur zu Qualitätspaten (via Volatile Ways) geworden, sondern positionieren sich bis in den triefenden Pathos gleich auch als die vielversprechendsten Schülern der Pantera-Schule.

Masterpiece Machine - Rotting Fruit Letting You In on a SecretMasterpiece Machine – Rotting Fruit / Letting You In on a Secret

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Wer 2020 nachhören wollte, weswegen Riley Gale und seine Band als die bodenständigen Hoffnungsträger des Crossover Thrash galten (gelten?), der konnte dies neben einem Gastauftritt bei Body Count bei Live in Seattle (dessen partielle Grammy-Nominierung freilich absoluter Schwachsinn, aber zumindest ein zu spät kommender, angemessener Tribut ist) tun.
Wer dagegen mitbekommen wollte, wie Gale als Sänger wuchs, der musste zu Masterpiece Machine greifen. Man mag sich gar nicht erträumen, welche Perspektiven dieser Zusammenschluss mit Fucked Up-Kumpels wohl für Gales Arbeit bei Power Trip geöffnet hätten.

Vyva Melinkolya - VioletVyva Melinkolya – Violet EP

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Zwischen My Bloody Valentine und The Cure ist der Raum für Entfaltungen im Shoegaze, Slowcore und Dreampop aus der Perspektive von Cigarettes After Sex und Nothing kommend zwar überschaubar, doch Vyva Melinkolya aus Louisville nutzt diesen durchaus ergiebig: „I really am not satisfied unless every corner is filled — appropriately, of course.“ Die zwei Jahre Arbeit an einem heavier wiegenden, tiefenwirksam texturierten Klangkosmos haben sich jedenfalls auch ohne Innovationspreise zu erwarten absolut ausgezahlt.

owl. - seems fineowl. – Seems Fine

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Skateboarder Oliver Jack Collier spielt seine am iPhone aufgenommenen Lofi-Indie-Gitarrennummern wie unschuldige Ambient-Träume, sie funktionieren wie der imaginative Kopfkino-Soundtrack für melancholische Erinnerungen an verschwommene Szenen im weichen Sonnenlicht. Unspektakulär und unscheinbar, aber mit einem universellen, zeitlosen Zauber. Dass Seems Fine dabei nur stellvertretend für das (mindestens) gute Dutzend an Alben, EPs und Singles steht, die Owl. über das vergangene Jahr praktisch ununterbrochen aufgenommen hat, darf als ausdrückliche Empfehlung verstanden werden, sich diesem betörend begleitenden Geheimtipp anzuvertrauen.

The Ruins Of Beverast & Almyrkvi - SplitThe Ruins of Beverast / Almyrkvi – Split

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Ohne die Beiträge der Isländer von Almyrkvi unter Wert zu verkaufen: The Grand Nebula Pulse und Hunters gehören in ihrem ritualistischen Trieb über den Black Metal hinaus zum besten, was Alexander von Meilenwald bisher veröffentlicht hat. Sind die beiden Split-EPs, die unter dem Banner von The Ruins of Beverast 2020 veröffentlicht wurden insofern nur ein vager Indikator für den in den Startlöchern stehenden Nachfolger von Exuvia, sollte mit The Thule Grimoires bereits im kommenden Februar ein früher Aspirant für den Album-Thron 2021 vorstellig werden.

Serpent Column - Endless DetainmentSerpent Column – Endless Detainment

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Angesichts der generellen Unberechenbarkeit, mit der Theophilos den dissonanten Black- und avantgardistischen Death Metal von Serpent Column umsetzt, müsste man ohnedies immer auf alles vorbereitet sein. Mit welcher Wucht es treffen würde, wenn plötzlich eine wütende Injektion aus Math- und Hardcore-Essenzen in das Wesen der undurchschaubar bleibenden Band eindringt, war dann aber doch ein markerschütterndes Ereignis. Hieran musste sich die Szene – und nicht zuletzt auch Serpent Column selbst – die vergangenen neun Monate messen.

Soul Glo - Songs to Yeet At The SunSoul Glo – Songs to Yeet At The Sun

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Ihren Hardcore im Herzstück von Songs to Yeet at the Sun gegen modernen Hip Hop zu tauschen, das funktioniert (wenngleich im Kontext deplatziert) für Soul Glo schon. Überragend ist es aber, wenn das Punk-Quartett aus Philadelphia seinem angestammten Genre treu bleibt, es wie im finalen Drittel seines bisherigen Karrierezenits jedoch bis in den Death einfärbt.

Sugar Horse - DrugsSugar Horse – Drugs

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They being both colossally doom-y and achingly beautiful. Theirs is an outrageous rage. They should be massive, but they wont be, cos most people are dicks“ schwärmt Mike Vennart und hat damit sicherlich recht. Nur machen es Sugar Horse mit ihrer mächtigen Noiserock-Melange voller Überraschungen im Windschatten von unter anderem Oceansize und Slint aber auch niemandem zu einfach. Gut so!

Sumac - Two BeastsSumac – Two Beasts

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Mit ihrem vierten Studioalbum May You Be Held hat die Impro-Sludge-Macht Sumac im Jahr 2020 neben einer starken Liveplatte zwar wieder fordernd abgeliefert, ihren besten neuen Song aber exklusiv für die Subscriber-Serie von Sub Pop aufgespart: Seinem Titel folgend zelebriert Two Beasts erst störrisch malmende Unbekömmlichkeit, um hinten raus eine geradezu versöhnliche Friedlichkeit zu zeigen. Ein 19 minütiges Diskografie-Highlight.

Tired Of Everything - Behind The BladeTired Of Everything – Behind The Blade

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Seit 1999 spielt To Live a Lie Records-Boss Will Butler bereits (primär als Bassist) in zahlreichen Szene-Bands, doch erst seit 2018 traut er sich auch ans Mikro. Eine absolute Verschwendung, wie man seit der Gründung von Tired of Everything weiß: gerade sein eigenwillig rezitierender, predigender Vortrag macht auch aus Behind The Blade ein originär hängen bleibendes Hardcore Punk-Erlebnis.

Wake - ConfluenceWake – Confluence

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Wake waren sicherlich eine sehr solide Grindcore-Band, sie sind aber längst eine sehr gute, moderne US-Black Metal-Band. Davon zeugt das seine atmosphärische Melodiesucht in die Auslage stellenden Confluence noch deutlicher, als das nur wenig zuvor veröffentlichte fünfte Studioalbum Devouring Ruin.

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