Die Alben des Jahres: 10 bis 01
Nicht verpassen! | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 bis 01 |
10.
Cult Leader
–
Lightless Walk
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„As if Mark Kozelek was in a sludge band“ trifft es wohl ganz gut; als würden sich Michael Gira und Cormac McCarthy durch die atmosphärischen Noiese-Passagen von Converge graben wäre als Urteil aber wohl auch zulässig. Der harte Kern der Tatsachen besagt in jedem Fall, dass zumindest das Finale des ersten Albums von Cult Leader keineswegs dort stattfindet, wo man es sich inmitten der Überreste von Gaza oder der ersten Gehversuche anhand von ‚Nothing for us Here‚ noch vor kurzem ausgemalt hätte – also nicht im chaotischem Blackened Hardcore und furios am Nacken packenden Crust, in schindender Raserei und malträtierenden Agressionsattacken ohne jedwede Gnade.
Genau dort beginnt der ‚Lightless Walk‚ jedoch – und es jedes Mal aufs neue eine so brutale wie erfüllende Tortur nachzuvollziehen, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit Cult Leader diesen steinigen Weg beschreiten, die beiden Hände am Cover trotz immanenter Verletzungen zueinander führen. „There has to be some sort of silver lining existing somewhere in the world to counterbalance depression. And I tend to write about that a lot.“ erklärt der nunmehr zwischen geiferndem Brüllwürfel und apokalyptischen Noir-Prediger die Atmosphäre steuernde Frontmann Anthony Lucero, dessen neu gefundenen Stimmbandradien das stete Wachstum seiner Band am besten verdeutlicht, während er mit seiner Aussage die Quintessenz von ‚Lightness Walk‚ nur teilweise auf den Punkt bringt: Keine Sekunde dieser Platte klingt nach Hoffnung, kein Augenblick nach Erlösung, nur purer Schmerz in allen Variationen. „I don’t know why anyone would pretend to care about me when I take that lightless walk/ None of you will love me in the end.“ fleht Lucero am Ende eines 36 minütigen Höllentrips, der niemals das Licht am Ende des Tunnels sieht und höchstens Frieden mit seinem immerwährenden Seelenpein geschlossen hat.
09.
Vennart
–
The Demon Joke
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Schönere Albencover als jenes von ‚The Demon Joke‚ hat es in den vergangenen zwölf Monaten ziemlich sicher gegeben, ein besseres Soundmastering wird man hingegen vergeblich suchen: Die dynamische Bandbreite von ‚The Demon Joke‚ ist schlicht atemberaubend weitläufig und der darauf hinweisende Sticker von der Plattenfirma absolut kein effekthaschendes Promotiontool, denn der Klang des Solodebüts von Mike Vennart ist tatsächlich nichts anderes als absolut brillant.
Ohne die richtigen Songs dahinter wäre das freilich kaum etwas wert, das weiß der ehemlige Frontmann der Progmacht Oceansize, jetzige Co-Vorstand von British Theatre und Tourgitarrist von Biffy Clyro aber natürlich nur zu gut, lässt sich insofern nicht lumpen und verschweißt seinen stilistisch breitgefächerte Ausritt in die Selbstständigkeit zur wahrscheinlich höchstmöglich unterhaltsamen Dokumentation seiner bisherigen muskalischen Biographie. ‚Two Five Five‚ wird justament dann abgewürgt, wenn man sich im stets Wellengang zurechtgefunden hat, ‚Retaliate‚ kanalisiert das abgedrehtest in schlurfend hämmernden Alternative Rock hineingedrehte Gitarrensolo und ‚A Weight in The Hollow‚ söhnt beinahe im Alleingang mit dem Ende von Oceansize aus. Im krummwalzenden ‚Duke Fame‚ und dem betörend pathetisch aufgeladenen Schmeichler ‚Don’t Forget The Joker‚ klingt Vennart wie zuvor in seinen bald 20 Jahren im Musikgeschäft, artikuliert aber dafür eigenwillig seine unbändige Leidenschaft für Iron Maiden (deren ‚The Book of Souls‚ es knapp nicht in diese Liste geschafft hat, es aber es auf die letzten Meter absolut verdient noch einmal explizit hervorgehoben zu werden) und die detailgenaue, bisweilen filigrane Monumentalmacht einer kristallinen Präsenz.
Ob Biffy Clyro nach dem Genuss der entwaffnenden Hymne ‚Operate‚ beschlossen haben die Verstärker wieder agressiver hochzudrehen ist zwar nicht bekannt, erscheint aber nicht unlogisch: Mike Vennart steht hier auf einem berauschenden Schmelztiegel seiner schier unerschöpflichen Fähigkeiten und erteilt damit nicht nur der englischen Rockszene eine stolze Lektion.
08.
Bell Witch
–
Four Phantoms
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Bereits Bell Witch’s schwarzes Loch von einem Album ‚Longing‚ hat, nach sich wie Jahrhunderte anfühlender Zeit, dem von Bands wie Esoteric dominierten ultra-langsamen und deprimierenden Genre des Funeral Doom eine neue Facette verpasst. Der Einsatz von einem sechssaitigen Bass gepaart mit der technischen Versiertheit von Dylan Desmond und Jesse Shreibman hat beinahe unbemerkt die melodische und erzähltechnische Bandbreite eines Genres erweitert, dass es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Themen wie Verlust und den langsamen, unabwendbaren natürlichen Verfall möglichst konsequent schmerzvoll darzustellen. Auf dem behutsam und bis in den letzten Winkel durchkomponierten ‚Four Phantoms‚ nun nähern sich Bell Witch diesen Themen und Gefühlen über die Zerstörungskraft der vier Elemente an, und entwickeln ihren Sound mit einer beängstigenden Leichtigkeit so weit, dass man ziemlich bald vergisst es mit einem spartanisch ausgestatten Duo, und nicht mit dem langsamsten Metal-Orchester aller Zeiten zu tun zu haben. Ihre melancholische Herangehensweise an diese wohl herausforderndste Untergattung des Genres ist heavy, langsam, und jenseits von jedem Minimalismus zu Hause, und es durchaus wert als erhaben – und den restlichen Doom-Veröffentlichungen des Jahres überlegen – angesehen zu werden.
07.
Miguel
–
Wildheart
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Kurz bevor ‚Wildheart‚ erschienen war – also praktisch während sich das Drittwerk des Kaliforniers zur ultimativen Sommerplatte mauserte – ließ Miguel Jontel Pimentel seinen ewigen Konkurrenten Frank Ocean wissen, dass er diesen für den weniger kompletten Musiker halte. Inwiefern dies tatsächlich ausschlaggebend für die folgenden Aktionen der ‚channel Orange‚-Samtstimme war bleibt unklar – fest steht jedoch einerseits, dass Ocean daraufhin die Veröffentlichung des bereits in den Startköchern stehenden ‚Boys Don’t Cry‚ (so zumindest der prolongierte Titel) aussetzte und Auftritte absagte, sowie andererseits, dass ‚Wildheart‚ eine Platte ist, an es durchaus unangenehm ist sich messen lassen zu müssen.
Gerade auch, weil sich der verhinderte Wrestler und bedingt einfühlsame Frauenflüsterer Miguel wieder einmal neu erfunden, indem er vor seinen verschmusten R&B eine gehörige Portion an Pop und Rock-Elementen aufgebaut hat, die in einer ausnahmslosen Fülle an hochanteckenden Hits münden. Da Miguel dabei unter der suggerierten Oberflächlichkeit mit einer gewissen Widersprüchlichkeit spielt – wenn sich etwa gefährliche Fantasien von Outlaw-Abenteuern an diskriminierte Kindheitserinnerungen schmiegen oder hinter dem Photoshop-Deluxe-Cover (sexistisch? esoterisch? potthässliche Ästhetik?) neben purer Fickmusik plötzlich zutiefst persönliche Liebeserklärungen an die Langzeitfreundin stehen – passt auch der Auftritt von Lenny Kravitz in ‚face the sun‚ eigentlich nur zu gut. Inwiefern Miguel dies als ehrlichen Schein am Altstar gedacht hat oder einfach nur vorführen will, dass der 51 Jährige Altstar einen derart feuchten Ohrwurmtraum auch mit geplatzter Lederhose selbstständig nicht mehr zustande bringen würde bleibt offen, schließt aber zumindest den Kreis um ‚Wildheart‚.
06.
Everything Everything
–
Get to Heaven
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Zum zehnjährigen Jubiläum der vielzitierten „England brennt!„-Welle ist es nicht nur still um die Indierock-Helden von 2005 geworden: Bloc Party, Maximo Park, Editors, Franz Ferdinand, Futureheads und wie sie alle heißen haben zumindest bereits bessere Zeiten erlebt, im schlimmsten Fall aber ihr jeweiliges Haltbarkeitsdatum durchaus überschritten – und Nachfolger dieser Kaliber waren bis vor einiger Zeit nicht in Sicht, haben sich aber tatsächlich in der zweiten Reihe in Stellung gebracht. Dass spätestens im großen Comeback-Jahr 2015 eine Wachabslöse bei den Szenegrößen stattgefunden hat ist einerseits ein logischer Evolutionsschritt, wird dann aber von keiner anderen Platte von der Insel derart eindrucksvoll vorgeführt wie ‚Get to Heaven‚ es tut, dem Drittwerk der eigentlich im Vakuum nach dem großen Hype entstandenen Everything Everything.
„A record that make people want to move“ ohne Ruhepausen habe die Band geplant gehabt, und wahrhaftig: 11 (oder wahlweise füllerlose 17) Songs lang destilliert das Quartett aus Manchester seinen hibbelig mit gefinkelter Elektronik unterfütterten Indierock zu einem atemlosen Schaulaufen der eigenen Extraklasse und lässt die hochinfektiösen Hits ohne Unterlass vom Stapel, schafft es bei der immensen Frequenz an zwingenden Hooks und Melodien aber vor allem, das arty Spektakel technisch geradezu unverschämt ausgefuchst zu inszenieren ohne ins verkopfte abzudriften. Dass Ausnahmestimme Jonathan Higgs während der Aufnahmen mit Depressionen zu kämpfen hatte kaschiert das kunterbunte Cover und der energisch vitale Spielwitz der Band nur an der Oberfläche einer unterschwellig erstaunlich effektiven und beinahe agressiv aufgekratzen Feuerwerks-Ausstrahlung: „I’m going to kill a stranger/ So don’t you be a stranger/…/Old enough to fire a gun/ Just give me this one night/ Just one night to feel like I might be on the right path/ The path that takes me home/ Wise enough to know mysel/ Just give me this one night just one night to feel„.
Everything Everything zirkeln ihr spannendes Songwriting mit faszinierender Genauigkeit ins Herz. Und irgendwo liegt deswegen die These nahe: Vielleicht war nicht das Indiejahr 2015 relativ durchwachsen – sondern ‚Get to Heaven‚ einfach soviel besser als jede andere Platte aus dieser Richtung.
05.
Björk
–
Vulnicura
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Auch wenn alleine das tolle ‚Vespertine‚ und das zumindest im Ansatz äußerst spannende ‚Medúlla‚ der folgenden Hypothese widersprechen mögen: Ihre besten Alben hat Björk Guðmundsdóttir in den Jahren aufgenommen, in denen sie nicht mit Matthew Barney liiert war. Ohne die Beziehung der Isländerin mit dem amerikanischen Künstler insofern unangemessenerweise auf die Waagschale werfen zu dürfen: Bis mindestens ‚Homogenic‚ setzte die auch danach unverwechselbare Ausnahmekünstlerin einfach die Standarts in ihrer eigenen Liga. Ob das Break-Up-Album ‚Vulnicura‚ ihre frühen Werke nun übertrifft sei dahingestellt. Wichtig ist, dass das neunte Studioalbum bereit ist etablierte Trademarks zu attackieren und damit jene großartige Rückkehr in die Relevanz geworden, die man Björk nach ‚Volta‚ und ‚Biophilia‚ ehrlich gesagt nicht mehr zugetraut hätte.
In Verbindung mit der herausragenden Produktion der beiden kongenialen Elektronikmagier The Haxan Cloak und Arca ist ‚Vulnicura‚ ein schonungslos intimes Manifest des Avantgarde-Pop geworden, auf dem Björk keine Gemütlichkeit kennt und ihr blutendes Herz ausspeiht, sich selbst und den Hörer endlich wieder permanent herausfordert, letztendlich aber jeden Kraftakt eindrucksvoll entlohnt: mit schier atemberaubenden Schönheiten wie ‚Stonemilker‚, fesselnden Experimentalleviathanen wie ‚Black Lake‚ oder lauernden Symbiosen ala ‚Atom Dance‚ mit (dem auf den Geschmack gekommenen) Intimus Anthony Hegarty. Eine triumphale, streicherschwangere Schmerzgeburt.
04.
Elder
–
Lore
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Wie man sich Elders drittem Album annähern möchte, bleibt jedem selbst überlassen: einfacher Weise könnte man behaupten, das Trio aus Massachusetts habe sich vom tiefgestimmten Stoner-Doom den sie bis zum Vorgänger ‚Dead Roots Stirring‚ verfolgt haben abgewandt, und ihren bisherigen Stil als Basis für konzentrierteres, progressiveres Songwriting verwendet. Ein weiter Eintrag ins Metal-Jahrbuch, abgehakt. Der lohnenswertere – jedoch aufwändigere – Weg ist es, zu versuchen, all die feinen Nuancen die ‚Lore‚ bietet wahrzunehmen, eine Karte zu zeichnen von jeder unerwarteten Wendung, jeder Veränderung, jedes Moments in dem die sich scheinbar ins unendliche ausbreitenden Riffs auf eine beeindruckende Weise zu dem klaren Konzept verdichten, dass Elder (Gitarrist und Sänger Nick DiSalvo, Bassist Jack Donovan und Drummer Matt Couto) wohl schon seit zehn Jahren verfolgt haben. Vom atemberaubenden Artwork von Adrian Dexter, bis hin zu den massiven Ausmaßen des Titeltracks – ‚Lore‚ ist der Moment der Band Elder, in dem Genregrenzen eingerissen, und die eigene Herangehensweise an heavy psychedelische Musik in aller gegebener Hymnik zelebrieren können. ‚Lore‚ ist eine übermannende, einschüchternde Hörerfahrung, die man einer sich abrackernden Band, deren Knoten endlich nach langjähriger Arbeit geplatzt ist, durchaus schuldig sein kann. Am Ende der Regenbogen-Odyssee steht die Befriedigung, eines der melodieschwangersten, leidenschaftlichsten und schweißtriefendsten Alben des Jahres erlebt zu haben.
03.
Vhöl
–
Deeper than Sky
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Wenn irgendjemand fragt, was der Grund dafür ist Metal zu hören, warum man dieser Musik trotz empfangener Sakramente Zeit widmet, sich Ziegen tätowieren lässt und Bierdosen am Kopf zerdrückt – man präsentiere VHÖL. Diese Urmacht aller Supergroups, bestehend aus Mitgliedern von Hammers of Misfortune, YOB und Agalloch, drückt Gemeinschaftlich einen großen Haufen auf Fragen von Genregrenzen, Trveness und Biederkeit, und macht auf ‚Deeper Than Sky‚ das was viele Gruppen schon verlernt zu haben scheinen, und VHÖL schon auf dem unglaublichen selbstbetitelten Vorgänger so gut gemacht haben: Spaß.
‚Deeper Than Sky‘ ist ein Album das Diversität feiert ohne dabei ins verkopfte Mittelmaß zu verfallen. John Cobbett ist ein Riffmeister vor dem Herren, schüttelt Black-, Thrash-, Death-, Thin Lizzy- und sonst welche Riffs aus dem Ärmel als wäre es selbstverständlich. Aesop Dekker knüppelt mit einer Präzision das Leben in seine Schießbude, wie es Dave Lombardo wahrscheinlich um das Seinige nicht mehr machen würde. Sigrid Sheie groovt ihren Bass mit High-Speed-Kreuzzeichen gen den heimgekehrten Herren Kilmister rauf und runter. Und Mike Scheidt bekommt endlich die gesangliche Bühne verpasst, die bei YOB immer öfter hinter dicken Nebelschwaden und Riffwänden zu verschwinden gedroht hat – die Performance eine Offenbarung, die Rolle als Frontmann dieser gesenkten Säue wie auf den Leib geschneidert. Das hier ist eine in die tiefe gehende Sightseeing-Tour durch die Highlights des klassischen Metal, Standardliteratur wenn man so möchte, und auch ein sich ständig mit sich selbst multiplizierendes Schaustück in Sachen Rock’n’Roll. RIP Dio. RIP Jeff. RIP Lemmy.
02.
Joanna Newsom
–
Divers
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‚Divers‚ ist über unzählige Schichten hinweg sicherlich ein kompliziertes Album, ein kompositorisch so erstaunlich komplex ausgetüfteltes und inszeniertes Konzeptwerk „about history, memory and movement„, in dem sich eine Hundertschaft von über Jahre hinweg arrangierten Instrumente zu einem unaufhörlichen Strom aus betörenden Melodien vereinen, stets flüchtig und scheu bleiben, klassische Songstrukturen weitestgehend meiden und die Harfenfee Joanna Newsom bei ihrer Stadtflucht so als breitcoloriertes, philharmonisches Klangspektrum umspülen. Gleichzeitig reicht die Amerikanerin mit konventionelleren Ausmaßen: handliche, folkige 12 Songs auf knapp 50 Minuten wollte sie schließlich seit über 10 Jahren nicht mehr. Einigen wir uns also notfalls auf Prog-Pop und addieren noch: Atemberaubend und formvollendet, im Grunde sogar makellos.
Newsom folgt einer Brotkrümelspur, die unzählige ergreifende Gänsehautmomente hervorbringt und in den strahlensten Augenblicken gar eine luzide Weisheit verströmt. Im Endeffekt, im Grunde sogar noch bevor man sich restlos auf ‚Divers‚ orientiert hat, offenbart sich desween auch, dass ‚Divers‚ in seinem Wesen dann doch absolut keine verkopfte Angelegenheit ist, sondern eine rein emotionale, dessen Essenz sich als großes Werk über Liebe und Verlust herauskristallisiert – mag das auch in der vielleicht niederschmetternsten Erkenntnis enden: „And it pains me to say, I was wrong/ Love is not a symptom of time/ Time is just a symptom of love„.
Sicherlich fehlt dem vierten Album von Joanna Newsom eine annähernd so mystische, legendäre Backgroundgeschichte (was in erster Linie wohl eher Segen als Fluch darstellt) und nur die Zeit wird zeigen können, ob man sich an derartigen Loorbeeren nicht verhebt, aber im Hier und Jetzt lässt sich festhalten: ‚Divers‚ könnte in seiner spielerischen Monumentalität das Zeug dazu haben in die Fussstapfen großer Klassiker wie Brian Wilson’s ‚Smile‚ zu treten.
01.
Kendrick Lamar
–
To Pimp a Butterfly
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So hart umkämpft die übrigen Plätze dieser Jahrecharts auch waren – welches Album die Pole Position belegen würde (sollte und eigentlich auch musste) stand zu keinen Zeitpunkt in Frage, rückblickend betrachtet vermutlich bereits seit dem 15. März 2015 (eine Woche nach dem Interscope-Leak) – einem Tag, der als wichtiger Impulsmoment für den modernen Hip Hop in die Geschichte eingehen könnte, zumindest aber als seine jüngste Sternstunde.
‚To Pimp a Butterfly‘ – vielleicht ja tatsächlich bald eine geflügelte Redewendung – will und muss genau dies auch sein, mit dieser Intention hält Kendrick Lamar nicht lange hinter dem Berg und baut ein Monstrum von einem Album auf einen roten Gedichtfaden. Ein bisschen ist das, als würde man als Hörer von einem unermesslichen Bergmassiv blicken: Man spürt sofort es hier mit einer Ausnahmeplatte zu tun zu haben, einem Manifest, das sich so bedingungslos wie augenscheinlich unangestrengt der Aufgabe verschrieben hat nicht nur seinem Basis-Genre als Initialzündung eine Frischzellenkur zu verpassen, sondern gleich ein visionärer Gamechanger auf zahlreichen Ebenen zu sein.
Die immense Gravitation der knapp 80 Minuten Spielzeit verschlingen deswegen die Grenzen zwischen Mainstream und Vordenkertum, Hittauglichkeit und Kunst, Politik, Sozialkritik und immanenter Selbstreflektionen, die Perspektiven und Anklageschriften wechseln unaufhörlich. Elektrisierender Rap in unzähligen Formen und Schattierungen ist hier endlich wieder mutig, schonungslos und intensiv, wächst im Windschatten von ‚Black Messiah‚ und ‚You’re Dead!‚ auch musikalisch fordernd als technisch meisterhaftes Amalgam, Albumtechnisch näher Konzeptprog angelegt als am klassichen Hip Hop, während das mit den organischen Brainfeeder-Mitteln von Jazz- und Fusionsrock transportierte Gesamtwerk in seiner Schonungslosigkeit nicht einmal davor zurückschreckt die Grammy prämierte Vorabsingle als Live-Version abzulichten, die sich aus dem ausbrechenden Chaos in den Acapella und Spoken Word Passage erhebt.
‚To Pimp a Butterfly‚ erreicht in seiner Radikalität dabei nahezu jeden, vom Grindcoreler zum Extase-Rocker bis zum Metaller – nicht als reines Konsensprodukt, sondern als universelles, inspirierendes Ereignis, dessen Bannkraft niemanden ausschließt und Kendrick endgültig zu jenem King krönt, der auch die Spielwiesen ehemaliger Förderer längst mühelos dominiert und Tupac am Ende durchaus auf Augenhöhe begegnet.
Den vorläufigen kreativen Zenit des Kendrick Lamar also an die Spitze dieser Jahrescharts zu stellen mag keine überraschende oder besonders originelle Wahl sein, letztendlich aber die einzig richtige. Denn ‚To Pimp a Butterfly‚ ist das beeindruckende Statement eines ruhelosen, sinnsuchenden klugen Geistes; es ist eine kooperativ erbaute Machtdemonstration vieler Klassen; und es ist nicht nur per se das beste Album 2015, sondern darüber hinaus ein zeitgeistdefinierendes, wohl über Jahre hinaus schlichtweg wichtiges Meisterwerk.
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