Die Alben des Jahres: 50 bis 41
50. Crippled Black Phoenix – (Mankind) the Crafty Ape
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Das letzte Werk der Band um Mastermind und Gitarristen Justin Greaves auf dem noch Joe Volk, letztendlich wohl auch eine der treibenden kreativen Kräfte in der Band, am Mikrofon stand (und auch nicht zu vernachlässigen: Pianoelfe Daisy Chapman an den Tasten). Wieder ein Doppelalbum, und wieder gehen CBP mit der ach so verpönten Pink Floydisierung einen Schritt weiter – und machen dabei eigentlich so gut wie alles richtig. Zwischen all dem Prog, all dem Konzept, all dem Pathos und all der Melancholie blitzen immer wieder Anflüge von Geniestreichen durch, wie sie auf vorhergehenderen Werken zweifellos in größerer Dichte vertreten waren, hier jedoch mehr als nur zweckdienlich den musikalischen Pfad für die Zukunft der Band austreten – verkopfter, vergeistigter, vielleicht bar dem genialischen Funken den Volk durch seine samtene Stimme immer öfters überspringen ließ. Wohl nicht ihre qualitativ gleichförmigste Arbeit, wahrscheinlich aber doch immens wichtig für die Zukunft von Crippled Black Phoenix.
49. EL-P – Cancer 4 Cure
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Wäre es nach dem dritten Album von Jaime Meline unter dem El-P-Banner gegangen: die Welt hätte am 21.12.2012 wohl ohne Erbarmen untergehen dürfen. ‚Cancer 4 Cure‚ arbeitet sich an hoffnungslosen Szenarien ab, eine verzweifelte Kälte liegt über den zwölf Songs. Aus der Dunkelheit presst der auch an Killer Mike‘s Politabrechnung ‚R.A.P. Music‚ so maßgeblich beteiligte Produzent mit gnadenlos treibenden Beats und Rhythmen hervor, die Gaststars von Paul Banks bis Danny Brown werden homogen in das unheimlich Dichte Geflecht aus bedrohlichen Synthiearbeiten und Samples integriert. Selbst wenn das atmosphärisch kompakte, Post-Def Jux- Mammutwerk ‚Cancer 4 Cure‚ damit nie die atemberaubende Überforderung von ‚Fantastic Damage‚ und ‚I’ll Sleep When You’re Dead‚ ausstrahlt, bleibt die Erkenntnis: ohne derart paranoid(?)- postapokalytischen Hip Hop wird auch nach dem Weltende niemand auskommen können.
48. The Soundtrack of Our Lives – Throw It to the Universe
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‚Throw it to the Universe‚ ist in erster Linie ein unheimlich sentimentales Album geworden. Die schwedische Vorzeigerockband hat sich schließlich damit unlängst selbst zu Grabe getragen, auch, um die Freundschaften der einzelnen Mitglieder über die Band hinaus gehend nicht zu zerstören. Dass das sechste Studioalbum sechzehn Jahre nach dem Debütstreich gleichförmiger und auch überraschungsärmer ausgefallen ist als seine Vorgänger, schmälert die großen Songs kaum, die The Soundtrack of Our Lives hier wieder auffahren. Spätestens im titelgebenden Albumopener muss die erste Träne fallen: wenn die Band um Ebbot Lundberg ihren eigenen Schlussstrich mit schwelgenden Melodien unterschreibt: „We are the Soundtrack of Your Lives!“ Und das werden sie auch bleiben.
47. Grimes – Visions
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Hätte Björk als Kind zu oft in die Steckdose gegriffen – vielleicht würde sie heute Musik machen wie Claire Boucher alias Grimes. Nerdige Laptop-Musik für Menschen, die eigentlich vollkommen auf Pop-Charts abfahren, Clubmusik für all jene, die lieber zuhause bleiben und nicht mit dem japoanischen Auto durch neonbeleuchtete Straßen voller Cosplay-Fußgänger rasen. Für all jene hat Boucher den ultimativen Elektro-Traum geschaffen, darüber hinaus ‚Genesis‚ und ‚Oblivion‚ zumindest zwei knallharte Überhits auf Lager. Und ‚Symphonia IX (My Wait is U)‚ ist in einer anderen Welt sicherlich der meistgehörte Song auf dem Drive-Soundtrack.
46. Tu Fawning – ‚A Monument‘
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‚A Monument‚ macht eigentlich alles besser als das schon grandiose ‚Hearts on Hold‚. Es hat mit ‚Anchor‚ einen offensichtlichen Hit für die Indiecharts an Bord, mit ‚Wager‚, ‚Blood‘ Stains‚ und wie sie alle heißen dazu zahlreiche – oder sogar ausschließlich? – verhaltene Ohrwürmer auf Lager, die erst einmal aus der Kauzigkeit heraus erarbeitet werden müssen. Mit dem atmosphärisch überragenden ‚Break Into‚ schielt man zudem in Richtung der besten Doom-Jazz-Bands, die Vergleiche von Menomena bis Tom Waits, sie machen durchaus Sinn, allesamt. Sind Tu Fawning hier doch wieder konsequent und kompromisslos ihrer ureigenen Auffassung von alternativer Musik verpflichtet. Wer jedoch einmal Zeuge der fesselnden Live-Macht dieses so einnehmend-sympathischen Kollektivs geworden ist, wird nicht umher können zu bemerken, dass Tu Fawning-Platten in erster Linie „nur“ Ausgangspunkte einer viel größeren Magie sind.
45. High on Fire – De Vermis Mysteriis
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Was Produzent Kurt Ballou in seinen GodCity-Studios anfasst, das wird zu Gold. Ganz offensichtlich ist der Converge-Gitarrist der heimliche Held hinter dem sechsten High on Fire-Album – nicht nur, weil er der Band um Ex-Sleep Wizard Matt Pike den bisher kraftvollsten Sound ihrer Geschichte auf den Leib geschneidert hat, sondern auch, weil er ‚De Vermis Mysteriis‚ zu mehr als einer One-Man-Show ausbaut, Jeff Matz und Des Kensel Raum zum glänzen bietet und überhaupt an allen Ecken und Enden Platz für vielschichtige Entdeckungen gedeihen lässt. Dass Pike natürlich trotzdem mit unfassbaren High-Speed-Sludge-Riffs um sich schleudert: Ehrensache. Die krude Backgroundstory mit dem zeitreisenden Zwillingsbruder von Jesus ist da noch eine zusätzliche, amüsante Draufgabe.
44. Mirrorring – Foreign Body
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Für Fans von Grouper alias Liz Harris war es eigentlich kein übles Jahr. Zwar steht der relativen Quantität an Songmaterial deren Verdaulichkeit gegenüber (siehe ‚Violet Replacement‚), auf der anderen Seite ist der geneigte Fan jedoch sowieso einiges von der Drone-Songwriterin gewohnt. Schöner weise hat Harris sich nun auch entschlossen mit Tiny Vipers aka Jesy Fortino ein wunderbares Ambientalbum zu veröffentlichen, das gekonnt zwischen den beiden Musikerinnen steht und die jeweiligen Trümpfe subtil ausspielen kann. Großteils melancholische Ambient-Schwelgerei steht da sanft gestrichenen, verschleierten Folksongs gegenüber, die beiden Interpretinnen verweben sich von Beginn an zu Einem und lassen ‚Foreign Body‚ somit als vollwertigen Beitrag zur Diskographie jeder Einzelnen und zum ersten von hoffentlich vielen von Mirrorring werden.
43. Mount Eerie – Ocean Roar
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‚Clear Moon‚ und ‚Ocean Roar‚ mussten nach dem überragenden ‚Wind’s Poem‚ zwangsläufig enttäuschen – sie tun es jedoch auf bestmögliche Art. Weil Phil Elverum seinem ohnedies uferlosen Sounduniversum aus Lo-Fi, Folk und Black Metal abermals neue Facetten abgewinnt und mehr noch: wenn auch zeitversetzt auf den Markt gebracht das vielleicht stimmigste und sinnvollste Doppelabum seit langer Zeit veröffentlicht hat. ‚Ocean Roar‚ steht hier deswegen auch stellvertretend für sein untrennbar verbundenes Schwesterwerk, dem man hinsichtlich des vielschichtigeren ‚Ocean Roar‚ dennoch nicht den Vorzug geben kann. Was letztendlich beiden gemein ist: Elverum entführt in andere Welten, andere Zeiten, andere Sphären. Er bleibt einzigartig stagniert gefinkelt auf bestialischen Niveau.
42. Neurosis – Honour Found in Decay
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‚Honour Found in Decay‚ ist vermutlich kein Album geworden, dass viele neue Fans an die Institution Neurosis heranführen wird – es ist aber definitiv eines geworden, dass bestehenden Verehrern der Post Metal-Erfinder vor Ohren führt, warum man dieses Urgewaltkonglomerat aus Einsiedlern, Ezentrikern und Natur-Esoterikern einfach vergöttern muß. Der Weg führt Steve von Till, Scott Kelley und Co. dabei über die bekannt schleppenden Riffmeere und monströsen Melodien in noch ätherischere Post-Rock Gefilde als zuletzt, die gebrochenen Reibeisenstimmen der beiden Freizeit-Folkbarden kratzen, als würden sie Eisen scheiden wollen. Aspekte wie das Dudelsackintermezzo in ‚At The Well‚ sind in diesem Umfeld auch nicht affektiert aufgeblasene Luft – sondern atmosphärische Bausteine einer in diesem Genre nach wie vor unerreichten Klangdichte.
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41. The Hirsch Effekt – Holon : Anamnesis
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Wer mitzählen möchte, wieviele Haken das zweite Album des Trios aus Hannover schlägt – aussichtslos. The Hirsch Effekt zimmern als Instrumentalwahnsinnige ein Werk, das dem Begriff „Progressivität“ versiert ins Gesicht lacht und sich zwischen The Mars Volta und The Fall of Troy ganze Landkarten aus Noten, Ideen und Planänderungen gönnt. Aber eben: niemals des reinen Schaulaufens wegen. Denn hier türmen sich im Grunde ihres komplizierten Herzens geradezu berührende Technik-Monstren auf, die weder vor Carlos Santana-Gedächtnis-Soli, noch vor Horn-Sektionen und schon gar nicht vor in die XXL-Breite gehenden Choralgesängen zurückschreckt. Klingt nach viel – ist auf ‚Holon:Anamnesis‚ aber eigentlich sogar noch mehr. Man würde ja behaupten: Progressive-Rock, wie er sonst nur aus den nerdigsten Ecken Amerikas bekannt ist. Aber selbst von dort hat man bisher noch nie einen Song wie ‚Ligaphob‚ serviert bekommen.
EP-Top 15 | 15 Platten außen vor | Jahrescharts | Platz 50-41 | Platz 40-31 | Platz 30-21 | Platz 20-11 | Platz 10-01
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