SOHN – Rennen

by on 2. Februar 2017 in Album

SOHN – Rennen

Am selben Tag mit dem Zweitwerk um die Ecke zu biegen, an dem die nahverwandten The Xx ihr gehyptes Platten-Comeback zelebrieren, zeugt durchaus von Selbstbewusstsein. Nicht zu Unrecht, hat Christopher Taylor doch weiterhin seine Hausaufgaben gemacht und verspekuliert sich auch mit Rennen nicht. 

Genau genommen hätte SOHN ja eigentlich schon bereits mit seinem Debüt Tremors vor knapp drei Jahren scheitern müssen. So dermaßen perfektionistisch kalkuliert kam die am Zeitgeist-Barometer ausgerichtete Erfolgsformel aus reduziert pluckernder Electronik, Downtempo-Beats und R&B-Falsett-Weltschmerz daher, die passgenau und leicht verdaulich aus dem Windschatten von Vorreitern wie  James Blake oder Jamie Woon heraus operierte.
Entziehen konnte man sich dem musikalischen Reset des mittlerweile nach Kalifornien gezogenen Ex-Wahlwieners und geborenen Londoners dennoch kaum: Zu überwältigend war die Qualität des Songwritings, die Flut aus infektiösen Melodien und Loops, in der selbst so unmittelbar zündende Hits wie The Wheel oder Bloodflows zudem einen erstaunlich langen Atem bewiesen. So leicht man Tremors also auch ankreiden konnte ein smartes Trend-Produkt zu sein – Strick wollte sich das Album aus diesem Vorwurf keinen drehen lassen.

Dennoch setzt Rennen nun bei dieser vermeintlichen Achillesferse an. SOHN hat seinen Sound für sein Zweitwerk in dunklere Töne schattiert, serviert ihn kantiger und lässt mit weniger exzessiven Vocal-Samples die Stimmungen der Songs tiefgehender einwirken. Vielleicht ist Rennen damit tatsächlich der prolongierte Blues des Electrotüftlers Christopher Taylor geworden, eventuell funktioniert die Formel von SOHN nun aber generell einfach ganzheitlicher.
Denn wo ein Beweggrund hinter Tremors subjektiv immer auch zu sein schien, möglichst populär auf eine modische Welle aufzuspringen, hat Rennen seine stlistische Ausrichtung verinnerlicht, riskiert gefühltermaßen phasenweise den Drahtseilakt an der fragmentarischen Unfertigkeit. Rennen setzt damit zu einem markanten Wachstum zwischen den Zeilen an, indem es den Sound in Fleisch und Blut übergehen hat lassen; Das Album klingt wie es klingt, weil es muss – nicht nur, weil der auch als Produzent versierter gewordene SOHN das Genre bespielen kann und will.

Songs wie das still treibende, langsam aufkochende Signal oder der unter der unter die Haut kriechende, tanzende Melancholie-Streichler Primary erzeugen mit Zurückhaltung und Effektivität auf emotionaler Ebene deswegen nicht nur eine noch dichtere imaginative Schönheit, sondern stellen den Epigonen SOHN in seinen stärksten Momenten sogar durchaus über aktuelle Ergüsse von Idolen wie James Blake. Die majestätische Klavierelegie des Titeltracks nähert sich hingegen Bon Iver aus der Radiohead-Perspektive, während sich das schnipselnde Proof über die Hintertür in die Gehörgänge schmeichelt. Still Waters räumt die Klangpalette dann sogar beinahe völlig leer, um sich nahezu ausschließlich auf die variabler agierende Stimme Taylors zu verlassen – und damit in ein unmittelbares Atmosphäremeer zu stürzen, in dem durchaus offene Fäden erlaubt sind und sich die eigentliche Größe nunmehr durchaus mit Unscheinbarkeit tarnt.
Dass ausgerechnet das soulig pulsierende, hymnisch unterspülte und letztendlich fast schon aufgeweckt die Kurve kriegende Hard Liquor sowie das gefühlvoll stampfende Conrad Rennen als enorm schmissige Singles eröffnen, kann man insofern beinahe als falsche Fährte interpretieren.

Mit dem nötigen Entwicklungsschub im Rücken ist es dann auch zu verschmerzen, dass Rennen paradoxerweise dennoch nicht ganz mit dem als Album homogener und lebendiger verschweißten Tremors mithalten kann – im Gegensatz zum Vorgänger drücken relative Füller wie das perspektivenlos simple Dead Wrong den Gesamteindruck ein wenig. Dass einige Songs – wie etwa Falling oder das eindrucksvoll vibrierend aufgehende, aber unentschlossen gespaltene Finale Harbour – nach dem selben generischen Muster gestrickt sind (indem SOHN die Komposition wachsen lässt, zur Mitte hin aber in eine völlig neue Ausrichtung anstößt), hinterlässt ebenfalls einen so zerfahrenen Beigeschmack wie auch die Tatsache, dass Tremors die herausragenderen Einzelsongs mit überwältigenden Zuspitzungen parat hatte.
Im Umkehrschluss sind dies allerdings auch Eindrücke, die Rennen vom Perfektionismusgedanken des Debüts befreien und gerade die so willkommene neue Natürlichkeit im Schaffen SOHNs unterstreichen. An der Entwicklungsschwelle zu seiner eigenen Nische werden sich diese kleinen Mäkel rückblickend insofern wohl in die Kategorie Wachstumsschmerzen einordnen lassen.

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