Refused [01.10.2012 Arena, Wien]
Mehr noch als At the Drive-In sehen sich Refused für ihre Reunion 2012 skeptischen Blicken ausgesetzt. In der Wiener Arena rechtfertigen die fünf Schweden ihre Club-Tour mit einem energetischen Feuerwerk, brennen nostalgische Gefühle mit Nachdruck in Grund und Boden.
Die Rahmenbedingungen sprechen freilich eine klare Sprache: ausgerechnet jene Band, die einen nicht gerade geringen Teil ihres in den 14 Jahren seit ihrer Auflösung geborenen Nimbus der politisch eindringlichen, kredibil unkorrumpierbaren Hardcore-Legende eben gerade auch dem konsequente Schlußstrich in Form des Bandsplit im idealen Augenblick verdankt, nimmt hohe Gagen für Festivalauftritte entgegen, kassiert daraufhin auf Club-Tour zusätzlich noch einmal ab, verkauft Tickets zu überteuerten Preisen und hochpreisige T-Shirts am Merchstand abseits der propagierten Punk-Attitüde. Was bei beispielsweise Pavement so noch bedingungsloses Frohlocken hervorrief, ist bei Refused mit ihren antikapitalistisch aufmüpfigen Songs mit der zur Faust geballten Protestwut leicht irritierten Gefühlen gegenübergestellt, die Fragen, die der grundsätzlichen Freude ob der Möglichkeit die Band live erleben zu dürfen überschattet von Coachella an für manch einen alles – wo fängt hier das reine Geschäftemachen an, mehr noch, wo hört es auf?
Refused geben diesbezüglich in Wien eine klare Antwort: auf der Bühne. Dort vertiefen sich die Schweden von der ersten Sekunde an in die akribisch aufgeladene Aufarbeitung ihres Backingkataloges exklusive ‚This Just Might Be…the Truth‚ und etwaiger EP-Highlights, ‚The Shape of Punk to Come‚ natürlich im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Vorhang fällt, Refused schnellen von 0 auf 100 in Sekundenbruchteilen, vor der Bühne bricht wie auf Knopfdruck der Teufel los. Unzählige Kehlen stimmen in den Titelsong des Schwanengesangs und Jahrhundertalbums ein, der Pit kocht über, Refused brennen vor Euphorie, Energie und Dringlichkeit. Von Alterserscheinungen ist keine Spur, jeder einzelne Song versprüht eine mitreißende Zeitlosigkeit. Die Menge dankt es mit fulminanter Stimmung, und erschöpfender Interaktion, nimmt Dennis Lyxzén’s Kung Fu-Gesten annähern ausgehungert auf, applaudiert Erklärungen weswegen seine Band auf der Bühne steht – praktisch stehen müsse – salutiert auch verhältnismäßig dünnen „Stay True„-Ermahnungen und sonstigen Plattitüden frenetisch.
Dass das bunt durch alle Altersschichten gemischte Publikum der Darbietung aber ohnedies in jedem Fall jedweden Bedenken im Vorfeld zumindest wohlwollend aufgeschlossen entgegenstehen würde, zeigt sich bereits während der ambitionierten Aufwarmdarbietung von Terrible Feelings. Die jungen, von Refused protegierten Schweden spielen verschwitzten Rock, Sängerin Manuela ist gleichermaßen durch die Frontmann-Schulen von Lyxzèn, Cedric Bixler und Juliette Lewis gegangen, wirft sich schick in laszive Posen, turnt und hopst umher, kann aber nicht überspielen, dass Terrible Feelings gefühltermaßen den selben Songs unzählige Male eher schlecht als recht variieren, in ihrer permanent nach vorne gehenden Rockshow enervierend einschläfernd und absolut facettenlos langweilen, dabei gefällig mit Querverweis auf Lyxzèns Noise Conspiracy zu stimulieren versuchen, aber letztendlich zu wenige Melodien und Hooklines im aufgekratzten Einerlei unterbringen.
Gegen den mittlerweile auch schon vierzig jährigen Lyxzèn und seine formstark im puren Spielwitz aufgehenden Band wäre an diesem Abend jedoch wohl auch jede noch so souverän amtierende Band an die Wand gespielt. ‚The Shape of Punk to Come‚ und ‚Tannhäuser‚ holen sich Unterstützung vom Band, ‚New Noise‚ als erste Zugabe animiert die Menge zur horizontalen Interaktion. Schon davor werden Leiber über die kochende Menge getragen, Lyxzèn’s schweißnasses Hemd öffnet sich immer weiter, ehe es komplett überflüssig wird. Man erweist Pussy Riot Tribut, und versucht den Nova Rock-Auftritt vergessen zu machen, ergeht sich im druckvoll dichten Sound, zelebriert ein Best of der letzten beiden Alben, nahe an der Setlist der Tour kurz vor dem Split. Als sich der Sturm mit dem hinausgezögerten Ende von ‚Tannhäuser / Derivè‚ zu legen beginnt, grinst Lyxzèn – wo da echte Begeisterung und wo aufgesetzte Euphorie im manischen Leuchten seiner Augen verschwimmen, bleibt wie vieles an dieser Reunion unverständlich – ist dann eigentlich auch egal. ‚Capitalism Stole My Virginity‚ mag auch für das europäische Schlagschiff des 90er-Hardcore zur Self Fulfilling Prophecy geworden sein. ‚Refused are Fucking Dead‚ dagegen knapp eineinviertel Stunden lang glücklicherweise zur Unwahrheit. Allen Bedenken zum Trotz.
Setlist:
The Shape of Punk to Come
The Refused Party Programm
Liberation Frequency
Rather Be Dead
Coup D’Ètat
Summer Holiday vs Punkroutine
The Deadly Rhythm
Hook, Line & Sinker
Protest Song ’68
Refused are Fucking Dead
Life Support Addiction
Worms of the Senses / Faculties of the Scull
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New Noise
Tannhäuser/ Derivè
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