Nine Inch Nails – Add Violence
Die Gewalt steckt auf Add Violence, dem Mittelteil einer angkündigten EP-Trilogie, primär in der unterschwellig brodelnden Beklemmung und im subtil unter die Haut kletternden Minimalismus dieser atmosphärisch dichten 27 Minuten.
Zuerst strecken sich Trent Reznor und Atticus Ross als einzig verbliebener Kern nach der jüngsten Kooperationsorgie mit dem enorm zugänglichen Opener Less Than aber noch demonstrativ zum Synthpop von Depeche Mode sowie dem Industrial der [amazon_link id=“B0052T7J5S“ target=“_blank“ ]Pretty Hate Machine[/amazon_link] im zeitgemäßeren, wohl sogar stadiontauglichen Nine Inch Nails-Sound. Der schmissige Hit funktioniert nach bekanntem Muster (und kann deswegen durchaus auch gewissermaßen langweilen), borgt sich seine Melodie bei [amazon_link id=“B000935UFS“ target=“_blank“ ]With Teeth[/amazon_link] und lässt den Noise im Hintergrund ungemütlich brodeln, bevor die durch und durch solide Vorzeige-Single in einem griffig rockenden, fett auf den Distortion-Verstärker tretenden Refrain aufgeht.
Nine inch Nails holen damit eingangs mit einer straighten Catchiness ab, die bereits auf Not the Actual Events keimte, verstärken diese aber noch einmal zusätzlich und übersetzen sie hier zudem in elektronischere Bahnen. Womit sich Nine Inch Nails natürlich abermals nicht neu erfinden, sondern vielmehr altbekannte Territorien mit dezent veränderten Nuancen inszenieren, bekannt klingende Versatzstücke neu designen und primär Amalgame verschiedener Bandphasen anrühren.
Noch deutlicher als bereits auf dem relativ harsch drückenden, bisweilen doch auch experimentierenden Not the Actual Events gelingt dies auf Add Violence allerdings in bestechender Form: Über fünf Tracks präsentieren sich Nine Inch Nails vital und hungrig, abwechslungsreich und unterhaltsam, gehen ästhethisch in die Tiefe und liefern ein rundum starkes Trademark-Songwriting – und fesseln abermals am deutlichsten durch die erzeugte intensive Grundstimmung und die enorm dichte Atmosphäre, die in ihrer Beschaffenheit so manches Déjà-vu gefühltermaßen mit Elementen aus dem Katalog von Brian Eno anreichert.
The Lovers arbeitet dieser Spur folgend elegisch mit pluckernden, fiependen, kribbelnden Beats; Reznor rezitiert über einer Melange aus [amazon_link id=“B001SPKTMK“ target=“_blank“ ]Year Zero[/amazon_link] und einer Gitarre, die direkt von [amazon_link id=“B0015FQZ94″ target=“_blank“ ]Ghosts I – IV[/amazon_link] entliehen sein könnte. Ein [amazon_link id=“B001SQAZNM“ target=“_blank“ ]The Fragile[/amazon_link]-Piano legt sich melancholisch über die Schaltkreise aus destillierten Rhythmen und der immer tiefer in ihren Bann ziehenden Dunkelheit.
Dort finden Ross und Reznor mit This Is’nt the Place dann eine ätherisch entrückte, getragen und beinahe entspannt einwirkende Ballade im Stil ihrer Score-Arbeiten. Inklusive traurigen Klaviertönen und entschleunigtem Beat, einem erst nach über der Hälfte der Spielzeit einsteigenden, filigran singenden Reznor in Hochform und eben einer vielschichtig-elegischen Ausstrahlung – das elegisch treibende Outro dieser unwirklichen Schönheit könnte insofern gerne noch länger driften.
Nine Inch Nails verabschieden sich jedoch geradezu abrupt aus der generierten Wohlfühlzone und stemmen mit dem zerfahrenen Not Anymore einen beklemmend polternder Rocker, der sich immer wieder selbst geißelt und ausbremst. Die wechselnde Reverb-Amplitude zwischen wuchtigem Kraftakt und in sich gekehrter Zurücknahme wirkt wie ein Mash-Up zweier verschiedener Songskizzen und schafft damit ausnahmsweise keine derart stimmige Balance wie das ansonsten kohärent fließende EP-Material (das im Ganzen übrigens auch deutlich besser funktioniert, als die einzelnen Songs für sich alleine stehend).
Allerdings nimmt der Track in seiner wenig homogenen Zerissenheit in gewisser Weise vorweg, dass auch das folgende The Background World noch weiter aus dem installierten Komfortbereich driftet und endlich wieder eine konsequente Ungemütlichkeit zurück in das Soundbild der Band drangsaliert.
Der Closer von Add Violence baut langsam Spannungen auf, trägt eine clubtaugliche Nuance in die eleganten Fußspuren von How to Destroy Angels und schmückt diese mit feinen Arrangements und einem Gespür für variable Dynamiken aus – bis Trent und Atticus plötzlich einen dekonstruktivistischen Schalter umlegen und ihre eigene Komposition attackieren, indem sie ein abgehacktes Loop über die restlichen knapp sieben Minuten wiederholen und wiederholen und wiederholen. Verzerrung und Noise werden darauf immer weiter angeschraubt, Lagen angeschichtet, Verzerrer aktiviert und Knöpfe gedreht.
Alleine produktionstechnisch ist es durchaus geschickt, wie das Sample erst unfassbar penetrant die Gefälligkeit und Nervenstränge malträtiert, und damit eine gezielte Herausforderung darstellt, dann aber doch zu einem immer stimmiger schmelzenden Klangamalgam wird: Fast schon hypnotisch repetitiv legen sich Nine Inch Nails in eine beklemmend-klaustrophobisch rauschende Schleife. Und ganz plötzlich ist da der erste Moment seit langer Zeit, der bewusst provoziert und die Hörerschaft nicht nur an der Front zur Selbstkopie spaltet. Fast muß man da Angst haben, dass Reznors Flaggschiff noch einmal aufregend werden könnte.
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