Nick Cave & The Bad Seeds – Skeleton Tree
Während Nick Cave mit Warren Ellis am Nachfolger zum 2013er Meisterwerk Push the Sky Away arbeitet, stürzt sein 15 jähriger Sohn Arthur im Juli 2015 von Klippen nahe Brighton in den Tod. Skeleton Tree entwickelt sich daraufhin zu einem nur schwer zu ertragenden Manifest des erlittenen Traumas.
„You believe in God/ But you get no special dispensation for this belief now“ rezitiert ein offensichtlich vom Glauben abgefallener Cave ohne jedes Distanzgefühl gleich im vorauseilenden Auftakt Jesus Alone. Einem unbehaglich auf ein sinistres Endlos-Drone-Skelett gebauten Klangkörper, in den immer wieder ein rauschendes Pfeifen brandet, apokalyptischen Streicher von Ellis erfuchrtgebietend beschworen werden, das Schlagzeug kaum auszumachen im Hintergrund zittert und die leise angeschlagenen Pianoakkorde wie ein skizziertes, wärmendes Trostpflaster in dieser vertonten Kühle der Ambient-Einsamkeit anmuten, die das Verlangen nach Geborgenheit niemals stillen wollen, oder können. Irgendwann löst sich das fragmentarisch bleibende Geschehen auf, eine tatsächliche Erlösung wird es keine geben, soviel ist klar.
Jesus Alone gibt die Richtung von Skeleton Tree damit vom ersten Augenblick an vor: Das sechzehnte Studioalbum der Bad Seeds klingt wie das Werk, das auf halben Weg zum logischen Nachfolger zu Push the Sky Away in den Tiefen Krater der Trauer gefallen ist, das mit dem Verlust umzugehen versucht, aber nicht kaschieren kann und will, dass Nick Cave ein anderer Mensch geworden ist – und mit ihm als Epizentrum die Bad Seeds als Ganzes.
Während der Großteil der Musik von Skeleton Tree bereits entstanden war, bevor sich der tödliche Unfall Arthurs ereignete – und sich damit eine regelrecht prophetische Schwere über die bedrückende, kargen und ungeschönte Stimmung der Platte legt – adaptierte Cave die meisten Texte nach der Katastrophe. „It’s too big to comprehend. You search to get your head around it, to create a narrative for it.“ sucht er deswegen irgendwann im untrennbar zum Album gehörenden Dokumentarfilm One More Time With Feeling nach den Konturen von Skeleton Tree, während sich zeigt, dass sich der Zugang zum Songwriting des 59 Jährigen markant verändert hat. Cave hat das klassische Storytelling und Charaktere zurückgelassen, hangelt sich improvisatorisch und mit einer rohen Ungeschliffenheit über vage bleibende Szenarien. Vieles bleibt böse Ahnung, wenig explizit. Ohne den Unfalltod seines Sohnes jemals direkt anzusprechen, sind die Eindrücke um den Verlust zwischen den Zeilen dennoch permanent allgegenwärtig. „You’re a young man waking/Covered in blood that is not yours/…./With my voice/I am calling you“ singt Cave mit gebrochener Stimme. Weihevolle Melancholie überschreitet da nicht selten die Grenze zur elegischen Depression. Cave ist gezeichnet, ringt sich in dem ätherischen Fluss in stiller Verzweiflung Emotionen ab, aufwühlend und intensiv.
Die Bad Seeds lösen dahinter klassische Songstrukturen auf verschwimmen in den unwirklich bleibenden Avantgardgebilden, stehen dennoch wie eine stützende Einheit hinter Cave, geben ihm immer wieder mit entrückten Chören halt und betten seine Stimme in losgelöste, noiseschwere, mediativ fließende Klangkaskaden und Soundschichten.
Im regelrecht griffigen Rings of Saturn stützt seine Band Cave so etwa mit geisterhaften Backingsvocals, während die Synthies über flächige Grundierung perlen; im mystischen Beschwörungsritual Anthrocene scheint der Einsatz der Bad Seeds wie dankbarer Balsam auf der geschundenen Seele ihrer Frontmanns zu wirken und in der erdrückenden Dichte von I Need You geben sie Cave sogar die Kraft, um mutmaßlich konkreter zu werden: „Nothing really matters, nothing really matters when the one you love is gone/You’re still in me, baby/…/A long black car is waiting ‚round/I will miss you when you’re gone/I’ll miss you when you’re gone away forever/…/Just breathe, just breathe/I need you„.
Dabei steht die Atmosphäre der Platte über allem, destilliert in ihrer Gesamtheit eine vereinnahmende Essenz eher, als die einzelnen Songs in die Auslage zu stellen. Dass diese genau genommen in Einzelbetrachtung um das Quäntchen weniger überragend und ausgefeilt wirken, als jene des an dieser Stelle unterbewerteten Push the Sky Away, wiegt sich spätestens in der Schwere der transportierten Eindrücke auf – und sorgt abseits neuer kreativer Impulsive dennoch für einige der erhabensten und niederschmetterndsten Szenen in der Discografie der Bad Seeds.
In der todtraurigen, wunderschönen Pianoballade Girl in Amber folgt Cave einem Strom aus Worten, die Arrangements scheinen wie in Trance gelähmt, legen sich als Nebelmeer über einen Ozean, der sich in der Dunkelheit auflöst. Im noch subtileren Magneto scheint das Instrumentarium dem so zärtlich sinnierenden Cave durch die Finger zu rinnen: „I love, you love, I laugh, you love/ I’m sawn in half and all the stars are splashed ‚cross the ceiling„. Nicht nur hier scheint Blackstar seelenverwandt.
Gegen Ende scheint sich doch zumindest ein Silverstreifen am Horizont abzuzeichnen. Die weihevolle Oase Distant Sky entwickelt sich nicht zuletzt in Verbindung mit der außerweltlichen Kamerafahrt aus One More Time With Feeling zum esoterisch erhebende Moment von Skeleton Tree, den Else Torp mit engelsgleicher Eleganz in andere Sphären streichelt und Cave keine Angst vor Schmalz hat, oder davor, in seinem Bedürftnis nach Trost zu dick aufzutragen. Immerhin ist seine Welt ohnedies in ihren Grundfesten erschüttert, irreparabel. „They told us our gods would outlive us/They told us our dreams would outlive us/They told us our gods would outlive us/But they lied„.
Der abschließende Titelsong korrigiert seine Ausrichtung dann zwar gar geradezu versöhnlich zugänglich, lässt Akustikgitarre und Piano auf die Keyboardteppiche tröpfeln, und beobachtet, wie Cave und die Bad Seeds sich wieder geschlosseneren Strukturn anzunähern versuchen. Selbst die Chöre klingen nun weicher, liebevoller, wärmer: „Right across the sea/ I called out, I called out/That nothing is for free/ And it’s alright/ Now„. Doch der Schein trügt. Nur für für den Augenblick hat Cave ein wenig Hoffnung gefunden. Für jeden weiteren Moment seines Lebens wird er jedoch wohl stets aufs Neue um diese Fassung ringen müssen.
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