Neurosis – Fires Within Fires
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Der doch etwas ernüchternde Vorgänger Honor Found in Decay hat wohl nicht zuletzt Neurosis selbst vor Augen geführt, dass sie ihrem patentierten Postmetal noch einmal ordentlich Feuer unterm Hintern machen sollten, um auf ihre alten Tage nicht in der bequemen Postmetal-Komfortzone zu gemütlich nach Zahlen zu malen. Eine Lektion, die Fires Within Fires nun verinnerlicht hat.
Mit über 3 Jahrzehnten Bandgeschichte am Buckel und einer Discografie im Rücken, die nicht nur zahlreiche Klassiker und Referenzwerke abgeworfen hat, sondern gleich ein ganzes Genre geboren hat, gibt es freilich schlimmere Dinge, als sein Songwriting einer gewissen generischen Vorhersehbarkeit anheim fallen zu lassen. Und auch wenn Neurosis ohnedies längst in jener Riege altgedienter Helden agieren, von der man sich keine stilistischen Paradigmenwechsel oder weitere musikhistorische Impulse mehr erwartet hatte, hinterließ Honor Found in Decay dennoch einen überraschenden, unangenehmen Beigeschmack, weil sich die Band erstmals in ihrer Karriere Stagnation und reines Sicherheitsdenken vorwerfen lassen musste – wenn auch auf hohem Niveau.
Knappe 4 Jahre später kommt deswegen alleine die Trackliste von Fires Within Fires einer Ansage mit Ausrufezeichen gleich: Songtitel wie aus dem Neurosis-Baukasten stehen im Verbund der Rückbesinnung zu einer klassischeren Albumgestaltung (von Thomas Hooper) sowie der unmittelbar den Raum ausfüllenden, physisch greifbaren Steve Albini-Produktion geradezu erstaunlich kompakten 41 Minuten Spielzeit gegenüber. Übersetzt bedeutet dies: Neurosis bedienen sich auf Fires Within Fires erwartungsgemäß all ihrer typischen Trademarks und Stilmittel, entfernen sich keinen Millimeter von verinnerlichten Aktionsradien, haben es dabei aber verstanden, all ihre Stärken noch effezienter zu destillieren, sie konzentrierter zu formulieren und die Schrauben an den nötigen Punkten anzusetzen, um eine entschlackte Präsenz zu forcieren, die zuletzt zumindest phasenweise eben abgegangen war.
Obwohl Fires Within Fires dann das bisher wahrscheinlich geduldigste und unaufgeregtest angelegte Neurosis Album bisher ist, fast schon geschmeidig seine Karten ausspielt und vor allem im Feinschliff viele harmonische Details offenbart, entpuppt sich dieser schärfere Fokus als durchaus zweischneidiges Schwert: Fires Within Fires muss sich in Summe zwar den Vorwurf gefallen lassen, dass der Band erstmals keine tatsächlich überragenden Ausnahmemomente gelingen wollen, keine restlos erschöpfenden Intensitätsszenen überwältigen und man nicht vollends gesättigt aus der Platte entlassen wird; auf der anderen Seite ist das elfte Studioalbum der Kalifornier dafür ein fein ausbalanciertes, kurzweiliges Schaulaufen ohne Schwächephasen, Leerlauf oder Langeweile geworden, das aufgrund seiner Dichte regelrecht süchtig machen kann.
Fires Within Fires ist fesselnd, zuverlässig, verführerisch abgründig und vor allem knackig. Das Songwriting wirkt in seinem permanenten Wechselspiel aus roher Brachialität und mystischer Anmut, sludgigen Gitarrenbreitseiten und sphärischen Lichtungen nahezu makellos auf den Punkt gebracht, lässt immer wieder betörende Melodien in dem walzenden Dickicht der roh antreibenden Rhythmusabteilung hervorstrahlen. Die wieder durch die Bank stärkeren (weil markanteren) Riffs kommen besser zur Geltung, das tolles Zusammenspiel zwischen den traditionellen Instrumenten und den millimetergenauen Synthie-Arrangements von Noah Landis gerät symbiotischer denn je, jede Sekunde der Platte scheint hinter ihrer Wucht feingliedrige Atmösphärearbeiten zu verstecken, die akribisch in das Gesamtwerk einfließen.
Alte Tugenden bekommen so einen neuen Elan: Bending Light beginnt als stimmungsvolles Wandern, kippt etwas zu plötzlich in ein anmutiges Ambientbad, nur um gleich umso heftiger aufzuplatzen und böse, gepeinigt zu fauchend, über den martialischen Drums und den im Rauch berstenden Gitarren sein Leiden in die Welt zu pressen, und den steten Wellengang der Dynamiken anzukurbeln. Auch A Shadow Memory erfindet das Rad nicht neu, dreht es aber ähnlich routiniert, wenn Neurosis stoisch lauern, sich versöhnlich in die ruhigen Parts legen, den Würgegriff auspacken und alles in einen hypnotisch groovenden Tranceakt kulminieren lassen. Im (beinahe an alte Bandklassiker heranreichenden) Höhepunkt Fire Is The End Lesson hämmert das Quintett mit entspannter Coolness und harter Direktheit, alleine wie makellos eingestimmt sich der Wechselgeang von Von Till und Kelly ergänzen ist eine Freude – dass die langsam in den Song kriechende Schönheit umso schwerer von der Kakophonie überrollt wird eigentlich ebenso: Ein Nackenbrecher, schmissig und weit ausholend.
Dazu weiß offenbar niemand besser, wie er Neurosis im Allgemeinen und das Spiel von Schlagzeuger Jason Roeder im Speziellen soundtechnisch besser in Szene setzen kann, als Meister Albini: Sein unmittelbares Klangbild gibt Fires Within Fires einen willkommen archetypisch daherkommenden 90er-Anstrich, eine zeitlose Eleganz. Das Eingangs deswegen gar jazzig zurückgelehnt ausgebreitete Broken Ground scheint sich so auch mühelos in Griffweite der Soloarbeiten der beiden Frontbrüller zu strecken, drückt dann doch brutal rockend nach vorne, bevor Neurosis im abschließenden Reach ihre Naturgewalt endgültig bis zur schmerzlichen Intimität zurückschrauben: Alles bleibt zwielichtig, rastlos, die Effekte wirbeln in steter Unruhe über dem bedächtigen Geschehen. Und justament wenn es sich Neurosis in ihrer elegischen Mediation gemütlich gemacht haben, drückt die Band noch ein letztes mal gnadenlos zu, lässt aber ruhig verglimmernd Luft zum Atmen. Symptomatisch für das Album im Gesamten.
Schwer zu sagen, ob Fires Within Fires damit rückblickend eventuell als aus den Fugen geratenes Kurzformat und/oder nötige Frischzellenkur für die weitere Zukunft der Band gelten wird. Vorerst ist das aber auch nebensächlich – schon jetzt darf die Platte nämlich als starke Ergänzung einer ikonischen Discografie verstanden werden, die die Formkurve zudem wieder mit dem richtigen Schwung nach oben korrigiert.
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