Marching Church – Telling It Like It Is
Nach dem von Elias Bender Rønnenfelt selbst in den Jazz-Jam verordneten Session-Mitschnitt Coming Down macht der Iceage-Frontman mit Telling It Like It Is mehr oder minder dort weiter, wo This World Is Not Enough aufhörte: Auch das Zweitwerk seines einstigen One Time-Soloprojektes verführt allerhand Stile in das verstörende Studio der Marching Church, das dann auch gleich als „auxiliary band member“ fungiert.
„The most focused vision of Marching Church yet, but one that has lost none of its swagger, and none of its power to enthrall“ jubelt man im Promotext bei Rønnenfelts Haus und Hof-Label Sacred Bones und hat damit erstaunlicherweise durchaus Recht: Die hyperventilierende, manische (und nunmehr: deutlich höher und melodieverliebter agierende) Stimme des Dänen und dessen so herrlich krumm-psychotische Art sein Songwriting unbeirrt von etwaigen Limitierungen leidenschaftlich umzusetzen – diese Faktoren sorgen automatisch für eine anziehende Homogenität, um die sich das so charismatischen Soundbild und die vielschichtige, nahbare Produktion der kurzweiligen 40 Minuten mit einer Klarheit zusammenfügen, dass selbst im motiviertesten Aufmarsch des reichhaltigen Instrumentariums eine fast schon blank ziehende, ausgemergelte Ordnung herrscht.
Und das obwohl Telling It Like It Is eben in jeder Hinsicht einen äußerst weitläufigen Bogen umfasst, praktisch jeden Song lasziv seinen eigenen Instinkten und Impulsen folgen lässt. Marke: „Alles geht. Man muss sich nur weit genug aus dem Fenster lehnen.„
Let It Come Down erklärt mit weihevoll perlenden Gitarren, zurückgenommenen Bläsern und Streichern, den aufbrandenden Chören, Besenschlagzeug und einer wehmütig trauernden Atmosphäre etwa ohne Berührungsängste, warum Rønnenfelts unlängst (und leider aus gegebenem Anlass) Leonard Cohen als seinen Haupteinfluss nannte. Up for Days drückt seinen dröhnenden Bass dagegen vor eine charmant schnipselnde Unangestrengtheit mit Bongotrommeln und Urlaubs-Gitarre, holt alles aus dem tollen Raumklang der Platte. Ein Gruselpiano stolpert wie zufällig in den Song und bestaunt eine immer wieder nach vorne ziehende Interpretation des möglichen Dancerock – weil abseits des verdrogten Rausches könnte das Disco sein. Marching Church leuchten die Nummern hell aus, es bleibt dennoch eine verstörende Grundfindernis. Das rostige Heart of Life geht dennoch als locker flockige Motown-Pop-Annäherung mit Violent Flemmes-Schrulligkeit durch, während Inner City Pidgeon Ballade mit sehnsüchtigen Backinggesängen, verschlepptem Schlagzeug und leidender Violine im postapokalyptiscjes Folk-Gewand steckt, einen balladesken Fiebertraum von Warren Ellis abzulichten scheint.
Das mit einer im Hall verschwimmenden Harmonika, ziselierten Gitarren, pumpenden Bass und fistelnden Stimme ausgestattete, so entspannt schunkelnde Dub-Ungetüm Lion’s Den macht die Gorillaz-Demo für die Bee Gees. Nicht erst hier fällt auf: Der Evolutionsschritt, den Rønnenfelts noch einmal weiter hin zum vielseitigen, versierten und unarrogant von sich selbst überzeugten Songwriter macht, ohne dafür auch nur einen Funken seiner Eigenwilligkeit aufgeben zu müssen, ist jedenfalls enorm erfreulich. Hier steht nicht mehr die Attitüde im Vordergrund, die Prätentiösität, die Provokation -sondern der Song. Praktisch jede Komposition hier erweckt darüber hinaus den Eindruck, dass, hätte der Exzentriker seine Nummern an konventioneller denkende Musiker weitergereicht, hier eine waschechte Hit-Platte entstanden wäre. Und gerade diese verquere Unangepasstheit, die eine ausformulierte Rohheit und unperfekte Ausgefeiltheit hofiert, ist dann aber eben auch einer der ganz großen Trümpfe von Telling It Like It Is.
Ein 2016 darf deswegen auch ohne permanenten Trieb zur Eskalation einfach nur großartig neben dem Gun Club oder den Replacements herlaufen und stattdessen sogar mit pompösem Widescreen-Impressionen flirten. Achilles Heel baut seine Stärke auf das beatfixierte Rhythmusgerüst (käme demnächst eine Wave-Elektro-Trip Hop-Platte aus diesem Lager – man wäre nun vorbereitet) und eben wieder diese allgegenwärtige Harmonika, bleibt aber trotz der Ambition zur dramatischen Geste einer der weniger zwingenden Momente der Platte. Information ist danach eine mit Post Punk-Gitarren schlürfende Lounge-Musik für das Horrokabinett, eine Wohlfühlzone im Torture-Dungeon, bevor Calenture den Kreis als angenehm plätschernde Country-Gospel-Elegie im besten Sinne des Poeten aus Montreal schließt: Und plötzlich liegen sich alle selig im Choir of Young Believers in den Armen.
Die reizvolle Faszination der hypnotischen Unmittelbarkeit der Platte besteht insofern auch deutlich mehr als noch bei This World Is Not Enough darin, dass es Telling It Like It Is gelingt, die Diskrepanz aus einer fast schon poppigen Eingängigkeit und dem vollkommen neben der Spur taumelnden Charakter der 9 Nummern absolut schlüssig zu schließen. Es entsteht eine verlockende Abgründigkeit, das Gefühl von Gefährlichkeit, dass jedoch durch eine unvorbereitet unangestrengte Eingängigkeit zu gefallen weiß, und so eine herrlich ambivalente Aura über das erstklassige Songwriting legt. Man kann Telling It Like It Is nebenbei hören – und wird von dem Sog der Platte doch hinterrücks in den bann gezogen.
Dass Marching Church damit weiterhin ein unverbindlicheres, lockereres Flair als die strengen Iceage verströmen (und Telling It Like It Is deswegen auch weniger intensiv, aber nonchalanter funktioniert als das ähnlich verankerte Plowing Into the Field of Love, dafür noch einmal alles besser macht als This World is Not Enough), kann man deswegen sogar wohl durchaus als launiges Entgegenkommen interpretieren.
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