Graveyard – Innocence & Decadence
Während nahverwandte Kollegen wie Kadavar, Vintage Caravan und vor allem natürlich Blues Pills der wahrscheinlich besten Vintage-Rockband der jüngeren Vergangenheit immer dichter auf die Pelle rückten, haben Graveyard selbst sich vor ihrem nächsten Karriereschritt erst einmal einer verinnerlichten Standortbestimmung unterzogen, ihr Gruppengefüge neu geordnet und dem Nachfolger zu ‚Lights Out‚ vor allem Zeit gelassen.
Für einen kurzen Moment hat es dabei tatsächlich so gewirkt, als hätte all der erschöpfende Trubel und die endlosen Touren (die bis in das Vorprogramm von Soundgarden führten) der schwedischen Retrorock-Sensation nach ihrem dritten Studioalbum im wahrsten Sinne die Lebenslichter ausgeblasen: Eine verhältnismäßig lange Auszeit mündete letztendlich im Ausstieg von Rikard Edlund und der Gewissheit, dass es dennoch weitergehen muss: der nostalgische Funke lodert eben nach wie vor. Insofern passt es nur zu gut, dass der vakante Posten am Bass nach enervierenden Überlegungen kurzerhand von einem alten Bekannten der Band übernommen wurde: Original-Sänger und Gitarrist Truls Mörck bedient nun den Tieftöner.
Graveyard selbst scheinen diese familiär gehaltene Blutauffrischung zudem als akuten Fingerzeig verstanden zu haben, ihr zwischen blueslastigem Hardrock und authentischem Proto-Heavy Metal köchelndes Gebräu gleich einer generellen Frischzellenkur zu unterziehen – ungeachtet dessen, dass der (nur auf den ersten Blick ernüchternde) Autopilot-Modus von ‚The Apple and the Tree‚ dies nur unbedingt in Aussicht stellte.
Zwar bewahrheitet sich nun die gravierendste der anhand der Vorabsingle aufgekommenen Vermutungen durchaus: Wo der wendige Midtempo-Groover mit seiner eingängigen Gangart den Hörer souverän abholt (viel wichtiger aber noch: im Gesamtkontext als zuverlässiger Hit deutlich stimmiger seine Routine ausspielt!), können Graveyard den Abgang von Edlung auf ‚Innocence & Deacadence‚ nämlich aus songwritertechnischer Perspektive niemals vollends kompensieren. Die elf neuen Nummern legen nicht einen derart bedingungslosen Instinkt in Richtung brodelnder Instant-Ohrwürmer an den Tag, wie die Sternstunden von ‚Hisingen Blues‚ und ‚Lights Out‚, können nicht mit einem derartig konstanten Fluss an herausragenden Hooklines, Riffs und Melodien aufwarten, wie es die Stücke der beiden Vorgängeralben tun.
Allerdings sind sie von den Don Alsterberg-Erben Janne Hansson und Johan Lindström auf eine deutlich breitere Basis produziert worden, die Graveyard immer wieder auf die Vorzüge der neuen Bandkonstellation bauen lässt und den Rock der vier Schweden mit einem ungekannten Variantenreichtum auffächert.
‚Too Much Is Not Enough‚ schmiegt sich etwa an wärmenden Motwon-Soul, schunkelnde Orgeln und gospelverliebte Backgroundsängerinnen inklusive; ‚Cause & Defect‚ übersetzt die Gesten der Queens of the Stone Age in den instinktiven Blues, wohingegen das mit viel Spielwitz auf das Gaspedal tretende ‚Can’t Walk Out‚ nicht ohne Grund Vergleiche mit Billy Idol provoziert. ‚Exit 97‚ gibt dagegen die fiebrig pendelnde Ballade samt homogener Synthiesprengseln, in der Joakim Nilsson zudem überdeutlich aufzeigt, um wieviel rauchiger, weicher, pressender, akzentuierter, schlichtweg besser seine Stimme in den letzten Jahren noch einmal weitergewachsen ist, während seine Kollegen ihm mit gefühlvollen Harmoniegesängen unter die Arme greifen und sich beständig an die Tatsache herantasten, dass Graveyard mittlerweile drei potentielle Leadstimmen haben: Das straighte ‚From A Hole In The Wall‚ wird von Mörck nasal nach vorne geschoben, bis Schlagzeuger Axel Sjöberg sogar kurz Lust auf Blastbeats bekommt, bevor Jonatan LaRocca-Ramm im abgründigen Delirium ‚Far Too Close‚ in Zeitlupe Kautabak schwitzt und dem Sound der Band in beiden Fällen neue Facetten abgewonnen werden.
Der Rest (wie etwa der unheimlich schmissige Opener ‚Magnetic Shunk‚, der die Psychedelik von Comets on Fire in superkompakt abliefert, das regelrecht rotzig hinausgeschüttelte ‚Hard Headed‚ mit seinen okkulten Stimmeffekten oder die überragend melancholische Abschlussminiatur ‚Stay for a Song‚, für den bei den Konzerten der Band ab sofort ein Feuerzeug in der Ausstattung praktisch Pflicht ist) ist dann nichts weniger als ein zuverlässiges Schaulaufen ohne Scheuklappen, inmitten einer bisweilen gar zu mühelos und generisch wirkenden eigenen Unfehlbarkeit im Verneigen vor den 60ern und 70ern. Womit Graveyard sich diesmal vielleicht nicht abermals selbst übertreffen, aber der Konkurrenz weiterhin zumindest eine Nasenlänge voraus eilen – und zudem die Grenzlinien für zukünftige Höhenflüge spielerisch erweitern.
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