God Mother – Vilseledd

von am 29. Oktober 2017 in Album

God Mother – Vilseledd

Es gelingt God Mother vielleicht nicht restlos, die wahnsinnige Intensität ihrer radikalen Bühnenpräsenz auf Tonträger zu konservieren. Dennoch ist Vilseledd praktisch genau der explosive Teufelstanz geworden, den man sich nach dem Höllenritt im Vorprogramm der The Dillinger Escape Plan-Abschiedstour versprochen hat.

Um gleich eingangs mit der keinesfalls naheliegendsten, aber am öftesten bemühten Referenz aufzuräumen: Ja, man kann Spuren des Irrsinns in Vilseledd entdecken, den The Dillinger Escape Plan noch bis zum Dezember diesen Jahres nahe der Perfektion zelebriert werden. Etwa wenn Acrid Teeth erst im Zwielicht des Black Metal eskaliert und halt dann doch in jene Form von gezirkelten Stakkato-Attacken verfällt, die die Math-Instanz so gerne stichelt.
Doch diese Sequenzen bleiben überschaubar. Und auch wenn God Mother ihr zweites Studioalbum auf Party Smasher Inc. herausbringen, in Labelboss Ben Weinman einen unermüdlichen Förderer gefunden haben, die Performance der Schweden in ihrer körperlichen Schonungslosigkeit dazu durchaus an das Spektakel von The Dillinger Escape Plan gemahnt, randaliert Vilseledd dann insofern doch klar in einer anderen Kampfzone und kanalisiert seine Einflüsse, wo bereits der Vorgänger Maktbehov Blut und Schweiß fließen ließ.

Vilseledd detoniert über 30 atemlos rasende Minuten in einer unerbittlichen Melange aus Hardcore, Grind, Metal und D-Beat-Versatzstücken, hantiert mit Mustern aus Sludge und Punk. God Mother übersetzen dabei die psychotische Finsternis von Bands wie Cult Leader, Converge oder Martyrdöd mit der bollernden Rasanz von Punk-Schlächter ala Baptists und dem straighten Rock der Doomriders, hastet in den unbremsbaren Szenen dann wieder hin zur Tollwut von Pig Destroyer oder Nails, während das nackenbrechende Momentum der Math-Heavyness so auch bei Every Time I Die oder Cave In drangsalieren könnte. Ein sprunghafter, aber keinesfals flatterhafter Sound, der auch an die Jungspunde von Code Orange erinnert.
Vilseledd konkretisiert dabei die bisherige Agenda von God Mother konsequent weiter, ist in der Schnittmenge all dieser Impressionen jedoch primär abermals ein zutiefst eklektisches Amalgam geworden. So unberechenbar und variabel wie die Schweden ihre Verankerungen auf der assoziativen Fahne tragen, offenbaren sie dabei auch ohne falsche Zurückhaltung den Blick auf ihre relative Achillesferse: God Mother wüten hier weniger mit restlos ausformulierter eigener Handschrift oder unbedingt originärem Konzept und gerade aufgrund der Fallhöhe durch die namhafte Inspirations-Einzugsschneise fehlen Vilseledd in direkten Vergleich die genialistischen Ideen, die aus einer sehr guten Platte eine tatsächlich herausragende machen.

Strick lässt sich daraus keiner für God Mother drehen, wiegt das Quartett das (noch) vorhandene Optimierungspotential doch weitestgehend mit einem grundversierten, mitreißenden Songwriting auf, dass zudem in Summe beeindruckenderweise niemals zerfahren wirkt, sondern mit einem erstaunlichen Fokus funktioniert und ausnahmslos starkes Material voranpeitscht.
Dödfödd zerfleischt sich etwa gleich selbst in unter 31 Sekunden, By the Millions reißt mit verzweifelter Wut am Steuer und poltert zutiefst aggressiv. Der gediegenere Start von Tar Mirror über die dreckig agierende Rhythmussektion frisst den rohen Sound der Platte dankbar. Die Gitarre schleicht sich gemein reißend in das Szenario und plötzlich schlägt das Pendel aus, als hätten Nate Newton für eines seine Projekte Speed gezogen. Dass hinten raus trotzdem noch Platz für griffigen Rock und ambiente durchschnaufende Passagen bleibt, spricht dann gleichzeitig für die Wandelbarkeit der Band, wie für ihr Talent, diese in nichtsdestotrotz runum schlüssige Kompositionen zu pressen.
No Return hyperventiliert dagegen mit gefährlicher Schwankungsbreite, ist breitbeinig und provokant springend, drückt im Abgang bestialisch, bevor Anti Anthem (aber sowas von!) ohnedies gleich mit dem Blastbeat des Black Metal flirtet und später als einziger chaotischer Hassbatzen im Minenfeld zwischen Crust und Blackened Hardcore drangsaliert.

Caved In drängt dann sogar beinahe in den kehligen Hardrock, galoppiert später und tackert am Ende mit stoischer Konsequenz in eine disharmonische Feedbackpeinigung. Im rotierende Ringelspiel für die Klappsmühle, zu dem Charlatan von Null auf Hundert gehend expandiert, wird dann einmal mehr vorführt, wie sehr sich hier alle Elemente auf Augenhöhe begegnen – die austickenden Riffs und die stämmige Rhythmusarbeit, der Brüllwürfel am Mikro. Burdenless fetzt seine brodelnde Katharsis genau aus dieser luftdicht aufeinander eingespielten Synergie heraus arbeitend dann als fünfminütige Walze mit knorrend an der Gangschaltung umrührender Haltung und nimmt als schonungsloses Finale keine Gefangenen.
Vilseledd kotzt und speit und bollert und brüllt, ist hungrig und impulsiv, wirft gleichzeitig aber genug griffige Ideen in den Reißwolf, um langfristig hängen zu bleiben und nicht nur auf Dekonstruktion und Zerstörung aus zu sein.
Weswegen letztendlich auch eine wichtige Erkenntnis nicht auf der Strecke bleiben kann: Mag die Schützenhilfe von den prominenten Förderern für das erste Signing auf Party Smasher Inc. auch einen ordentlichen Karriereschub verabreicht haben – zwangsläufig notwendig wäre er wohl kaum gewesen. Immerhin haben God Mother rein für sich selbst stehend und ohne jedweden Exotenbonus auch so schlichtweg die nötige Qualität unterstrichen, um sich nach Maktbehov endgültig als Schmelztiegel-Versprechen an die Zukunft positionierte.

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