Garbage – Strange Little Birds
Es mag paradox klingen, aber vielleicht war letztendlich ausgerechnet die verhalten aufgenommene, ernüchternde Qualität des Vorgängers Not Your Kind of People das beste, was Garbage in Hinsicht auf das über allen Erwartungen stattfindende Strange Little Birds passieren konnte.
Man hört dem sechsten Studioalbum nun nämlich förmlich an, dass es ohne Druck und auch ohne fordernde Erwartungshaltung von außen von einer befreit aufspielenden Band in Butch Vig’s Kellerstudio und den Red Razor Sounds Studio in Los Angeles aufgenommen werden konnte: „We mixed it so it’s kind of confessional, almost confrontational. On a lot of songs, Shirley’s voice sounds really loud, in your face, and really dry. There are not a lot of effects. There are some moments on the record that get really huge, but a lot of it is really intimate.“
Stimmt so: Garbage verschaffen ihrem immer noch tief in den 90er Jahren verankerten, elektronisch aufgebauten Alternative Rock durch eine Entschlackung im Sound und eine Reduzierung auf das Wesentliche in der Inszenierung tatsächlich mehr Luft zum Atmen, mehr Freiräume in der Entfaltung, eine lange nicht mehr gehörte Vielschichtigkeit. Vor allem führen auf sie auf dem zurückhaltenden Strange Little Birds absolut nicht repräsentative Ausreißer wie die pflichtbewusst auf Stadion-Autopilot abliefernde Vorabsingle Empty mit einem überraschend unangestrengten Zug hin zu entspannter in ihrer tiefen Atmosphärearbeit ruhenden Songs ad absurdum. Ja, man hat spätestens mit Not Your Kind of People seine Lektion weitestgehend gelernt.
Der so geduldig wie melancholisch rund um ein tröpfelndes Piano und sorgsame Streicher aufbauende Industrial im feingliedrigen Opener Sometimes ist damit in seiner elegant-abgründigen Anziehungskraft nicht nur die Nummer, die Trent Reznor schon lange nicht mehr gelingen wollte, sondern gibt in seiner nachdenklichen Intimität auch die generelle Richtung für Strange Little Birds vor. Garbage schwelgen bis auf wenige Ausnahmen in einem verführerischen Pool aus dunklen Midtempo-Balladen, die Shirley Manson so präsent, zwingend und fokussiert wie lange nicht klingende Stimme ohne Zwang in ein dunkel-verführerisch Licht tauchen. Sie stellen die 49 Jährige in der unter Mithilfe von Billy Bushs angenehm kratzig-direkter Produktion in den Mittelpunkt eines enorm stimmungsvollen Sogs an beunruhigenden Song-Schönheiten, die nicht nur im bezaubernden If I Lost You klingen wie die abgründige Version der No Saints, die Depeche Mode die Symbiose aus aufgeräumten Klangbild und Understatement-Songwriting neu erklären: Strange Little Birds ist eingängiger Pop für die dunklen Stunden des Tages. Ein hypnotischer Rausch, der sich zu einem ruhig pulsierenden Fluss aus betörenden Melodien auswächst, mit der unterschwellig aggressiven Dualität aus versöhnlicher Nähe und angriffslustig auf den Hinterbeinen stehenden Distanz fasziniert.
Dass ein Gros der Songs so gar nicht erst die Hebel angesetzt bekommt, um seine internen Spannungen derart schlüssig, zwingend und nach vorne gerichtet auflösen zu wollen wie das relativ konventionell agierende Magnetized oder das etwas altbacken durch seine Synthierock-Effekte riffende Teaching Little Fingers To Play ist da durchaus ein Trumpfass der Platte. Längst liegt für Garbage nämlich in der vermeintlichen Ruhe die Kraft, sind die am wenigsten auf Rock gebürsteten Nummer die stärksten. Auch, weil sich die Band hier auf die Ausstrahlung von Strange Little Birds entlang solch träumender Elegien wie Night Drive Loneliness oder dem geduldig im Mondschein badenden Groover Blackout als selbstbewusst unaufdringliches Gesamtwerk verlassen kann, das es nicht nötig hat individuelle Hit-Brechstangen in den Vordergrund zu drängen.
Abseits so unspektakulär wie sicher nach Hause gespielter Qualitätsnummern wie dem ideal betitelten Schlusspunkt Amends sind die endlich wieder hungrig, von unnötigem Ballast befreit wirkenden und neu gewichtet motiviert klingenden Garbage dabei vor allem ideologisch gefühltermaßen wie angepeilt tatsächlich näher denn je dran an der fesselnden Anziehungskraft ihres selbstbetitelten 1995er-Einstandes und machen Strange Little Birds entlang einer erfrischend gelungenen Frischzellenkur vielleicht sogar wirklich zu einer Art zweiten Debüt – zumindest aber einem über allen Erwartungen liegenden Album, dass die Weichen für eine spannende Zukunft für die Band als nicht fehlerfreies (weil nicht restlos kosequent von alten Lastern losgelöstes Werk, in dem zudem nicht alle Refrains die Qualität der Strophen stemmen können), aber bisher überzeugendstes Garbage-Album in diesem Millennium stellt.
„The good thing is, we know we’re not going to get any Top 40 airplay and we can’t compete with all the hipster young bands out there“ sagt Vig. Was er damit indirekt auch meint: Garbage müssen das im dritten Jahrzehnt ihres Bestehens angekommen dank Strange Little Birds auch gar nicht mehr, das hat man eingesehen. Und nutzt die Vorzüge aus dieser wie selbstverständlich entstandenen, aber eigentlich hart erarbeiteten Situation. Insofern nur zu symptomatisch, dass Manson am anderen Ende des Spektrums herrlich giftig anpirschend hinterherschiebt: „Scheiß auf die Jugend!„
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