Die Nerven – Out
Das installierte Hoheitsgebiet ist nicht mehr genug, Wohlfühl- oder Komfortzone gibt es für die Stuttgarter ohnedies per se keine. Die Nerven machen es auf dem Glitterhouse-Einstand ‚Out‚ deswegen niemandem leicht und wachsen kratzbürstig gegen den Strich gekämmt kurzerhand dort weiter, wo ‚Fun‚ sich vor nicht einmal eineinhalb Jahren verausgabte.
Schon der seine anfängliche Versöhnlichkeit schnell als kaputtes Trugbild enttarnende Opener ‚Die Unschuld in Person‘ verschiebt dabei die Herangehensweise des deutschen Trios, als würde man all die Euphoriestürme nach dem rundum gefeierten ‚Fun‚ erst einmal ausbremsen wollen. Richtiger ist wohl, dass Max Rieger, Julian Knoth und Kevin Kuhn tatsächlich einen Scheiß auf Erwartungshaltungen geben und sich gleich zu Beginn genüsslich an ihrem energischen Noiserock wundzureiben beginnen: ‚Out‚ ist weniger Sturm und Drang als sein Vorgänger, betont das Post- vor dem Punk deutlicher und bietet den Songs dadurch eine größere Bandbreite zwischen Laut und Leise. Die Nerven lassen ihre Kompositionen nun wachsen, anstatt mit der Tür ins Haus zu fallen, nutzen den Spielraum in der stets so bedrohlich lauernden Katharsis-Dynamik dadurch noch vielseitiger aus und können sich auf das nocheinmal intensivierte Bandgefühl verlassen. ‚Out‚ bleibt dabei ungemütlich spröde, ist eher schlau als impulsiv und lässt seine 10 Songs so unterschwelliger und trügerischer köcheln, während der Unmut, die Wut und der Abscheu nicht mehr dermaßen frontal drücken, sondern mit in sich hineinschwitzenden Fieber eskalieren.
Man möchte fast sagen: Hat bei der furiosen Liveband bisher das Tragen von Metz-Shirts absolut naheliegend gewirkt, erwartet man sich nun zerisssene Slint-Hemden, auch die Sonic Youth-Verweise machen im breiter gewordenen Spektrum mehr Sinn denn je. Wo die Gitarren nicht gemein kratzen lehnt sich die Band nun gerne in einen abwartenden Groove, man setzt falsche Fährten, geht Umwege, provoziert die Melodien geduldig. Das macht Songs wie die Vorabsingle ‚Barfuß durch die Scherben‚ einerseits weniger knackig als die bisherigen Quasi-Hits der Nerven, weil sich diese diesmal nur wenig bedingungslos aus der Reserve locken lassen will: So zwingend wie ‚Fun‚ ist das in Schüben kommende ‚Out‚ nicht veranlagt.
‚Dreck‚ hätte da also durchaus smart und leichtfüßig mit scharfer Kante tänzelnder Indierock werden können, nur will die Band das Stück nicht unatackiert gedeihen lassen und formt deswegen kurzerhand einen räudigen Rabauken von einem Austicker. So funktioniert ‚Out‚ generell. Man ist eben unberechenbarer geworden, bedient stilistisch mehr Facetten, weswegen sich das enigmatische ‚iPhone‚ auch zwischen polterndem Gaspedal und schwitzendem Delirium am wohlsten fühlt, bis eine depressive Trompete in den Fiebertraum torkelt.
Auch ‚Jugend ohne Geld‚ verweigert den angekündigten Ausbruch lange Zeit, zögert die Eruption hinaus, bis die Krachlawine irgendwann dafür umso heftiger in den Lärm davonzieht. Nicht nur hier bleibt jedoch auch das Gefühl: so richtig zünden wird vieles vom ‚Out‚-Material wohl erst bei der Liveumsetzung auf der Bühne.
Wo der klare, aber nicht saubere Sound von Ralv Milberg und Tausendsassa Rieger wieder mit unkaschierter Rohheit eingefangen wurde, singt letzterer irgendwann vor verschwimmenden Konturen „Das alles ist nicht echt„. Tatsächlich keimt der Eindruck, dass ‚Out‚ vor allem ein Album geworden ist, das die Weichen für einen neuerlichen Wachstumsprozess setzt und dafür gerne in Kauf nimmt, nicht die selben mitreißende Direktheit an den Tag zu legen wie ‚Fun‚ oder ‚Fluidum‚ – eben „die Ruhe vor dem Sturm“ darstellt, wie es im für Nerven-Verhältnisse absolut entspannt funktionierenden ‚Wüste‚ heißt, dem vielleicht rundesten Song der Band bisher.
Dazu auch der Startschuss zum wohlüberlegten Schlusspart einer Platte, die anhand von ‚Ich habe gelogen‚ (mitsamt herrlich locker loslegenden Finale) sowie dem schwerfällig Gift und Galle Richtung Kakophonie absondernden ‚Hast du was gesagt?‚ die Dringlichkeit früherer Werke mit anhaltendem Mittelfinger ausbremst und den nicht restlos zu ergründenden Grower letztendlich gar spekulieren lässt: Ist ‚Out‚ eines dieser Alben, anhand derer man Künstler attestiert erwachsen geworden zu sein? Oder verpuppen sich Die Nerven hier eventuell sogar für ein kommendes Meisterstück?
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