Damon Albarn – Dr Dee
Der vielleicht begnadetste Popmusiker Englands der letzten 20 Jahre geht dem Pop immer mehr verloren. Damon Albarns zweite Oper ist trotzdem – oder gerade deswegen – einen Besuch Wert.
Von der ausladend um die Musik von ‚Dr Dee‚ gesponnene Rahmenhandlung braucht man nicht zwangsläufig Kenntnisse zu haben. Dass etwa Graphik Novel Legende Alan Moore anfangs in das Projekt involviert war, oder die Oper unter der Federführung von Regisseur Rufus Norris zwischen 01. und 09. Juli 2011 im Palace Theatre in Manchester zu sehen war, spielt bei dem nun auf Tonträger gepressten 18 Songs ebensowenig eine Rolle, wie, dass Moore im Endeffekt doch nur als Inspiration gelistet wird. Biographisches Hintergrundwissen zum titelgebenden Dr. John Dee, dem geheimnisvollen Vertrauensarzt von Elisabeth I., muss man sich hierfür auch nicht aneignen. Wer keiner der Inszenierungen beiwohnen konnte und die abgehandelte Geschichte nun nur rudimentär verfolgen kann, sollte trotzdem Gefällen am neuen Steckenpferd Albarn finden können. Denn all dieses Wissen braucht man eben nicht, ‚Dr Dee‚ entfaltet sich auch ohne diese Dinge. Schaden kann es aber eben auch nicht.
Neigt doch allein das mannigfaltige Instrumentarium aus dem gängigen Schema der derzeit sonst von der Insel kommenden Musik zu fallen: Grenzgänger Albarn schachtelt sich mit massiven Orgelwänden, Cemballos, Geigen, Flöten, Streichern, Gitarren, Chören und Pianos zurück in die Gegenwart seiner ersten Oper ‚Monkey‚, nur eben eine halbe Erdkugel entfernt ins alte England. Mystisch bleibt die Sache, fernöstlich im Ansatz dazu. Wo unzählige Ideen nicht unbedingt zu griffigen Kompositionen arrangiert werden, obwohl Albarns Handschrift auch abseits der von ihm gesungenen Passagen stets erkennbar bleibt. Hier findet sich dann auch der prägnanteste Unterschied zur ersten Albarn Oper ‚Monkey‚ – ‚Dr Dee‚ funktioniert als ausgefranste Songsammlung ohne Verbindlichkeit, nicht nur als interessante Soundkulissen: ‚Apple Carts‚ und Konsorten sind ungefähre Ahnungen von klassischen Albarn Kompositionen ohne Scheuklappen: unaufdringlicher an die Ausklänge des Mittelalters angelehnten Bombast fasst hier ohne Probleme Fuß neben dem Afrobeat-Ausläufer ‚Preparation‚ (Tony Allen, mal wieder), neben dem weiblich wehklagenden Gesang aus dem Elfenbeinturm in ‚The Moon Exalted‚, neben dem vibrierenden Baritonmanifest in ‚A Man of England‚, neben der schwelgenden Handclapparty von ‚The Marvelous Dream‚. ‚Dr Dee‚ wandelt über seine zahlreichen Parts in einer entrückten Zurückgenommenheit, die chorale Ausschwänke erlaubt und sich in Schüben auf seine gemächliche Spannungsbögen, seine anmutige Erhabenheit konzentriert.
Erst im Zuge eben jenes World Music Jazz Sperenzchens ‚Rocket Juice and the Moon‚ musste man sich wieder einmal fragen: Was gibt es für Albarn im Pop noch zu holen? ‚Dr Dee‚ lässt die Antwort dem jüngsten Output des umtriebigen Allroundtalents außen vor, sagt Dinge wie „Distance is Love“ und becirct als weiterer Albarn Handstreich, der im Vorbeigehen die Hörerherzen einsammelt, nach und nach den Ersteindruck gerade rückt: Das hier ist weit mehr, als ein versponnenes Experimentalwerk, alles hat Hand und Fuß.
Damit macht Albarn vielleicht nicht, was die Masse von ihm hören wollen dürfte, sondern einzig, wonach ihm der Kopf steht – aber gerade dadurch bleibt er eine der spannendsten und unberechenbarsten Figuren der zeitgenössischen Musikszene. Dass er Blur am 12. August dieses Jahres wohl endgültig zu Grabe tragen wird, ist in dieser Hinsicht ebenso konsequent wie die Vermutung, dass Albarn mit den Gorillaz selbiges bereits getan hat und er stattdessen lieber Bobby Womack´s Comebackalbum inszeniert. Ein unzeitgemäßer Mensch, im besten Sinne. ‚Dr Dee‚ eine weitere dazugehörige Bestandsaufnahme.
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