Circe – Circe
Auch ohne Frontmann Jónsi bleibt die Sigur Ròs-Rhythmussektion um Georg Holm und Orri Páll Dýrason aktuell erstaunlich produktiv: gemeinsam mit Tourgitarrist Kjartan Holm und dem arivierten Soundtrack-Kumpel Hilmar Örn Hilmarsson liefern Circe die Untermalung für die BBC-Zirkus-Dokumentation The Show of Shows.
Die Gretchenfrage bei Soundtrack-Arbeiten ist gemeinhin ja mitunter: Wie gut funktionieren die musikalischen Landschaften ohne die dazugehörigen Bilder? Daher zudem beinahe alle an Circe beteiligten Musiker ihren Unterhalt bei der isländischen (nennen wir es einmal im weitesten Sinne) Postrock-Macht Sigur Rós verdienen, deren Klangwelten bekanntlich für gewöhnlich das Kopfkino ohnedies in Wallungen bringen, kommt anhand des quasi selbstbetitelten Debüts der Splittergruppe natürlich auch zwangsläufige etwaige Vergleichswerte sowie auch noch die Überlegung hinzu, ob und inwiefern man sich gar vom Sound der Stammband lösen will.
Ohne sich angesichts der zugrunde liegenden Thematik in Klischees zu flüchten, windet sich ‚Circe‚ diesbezüglich nun über weite Strecken in einer zwischen den Dingen liegenden Grauzone um klare Antworten, versucht sich phasenweise (ohne sich dafür tatsächlich aus dem Fenster zu lehnen) an Dingen, die so im herkömmlichen Bandkontext (bisher) keinen Platz gefunden haben.
Die dunkel rollende Rockigkeit ‚To Boris With Love‚ mit ihren harten Metalriffs und (im ansonsten weitestgehend instrumental gehaltenen Umland) jubilierenden Chören beispielsweise denkt die Dinge etwa über den Schulterschluss zum letzten Studioalbum des Mutterschiffs weiter und ist eine latent hüftsteife, aber ambitionierte Verneigung vor den japanischen Allroundern Boris selbst. Das flotte Popgerüst von ‚Lila‚ läuft dagegen mit seinen klar artikulierten Drums sogar mitten hinein in ein unangestrengte 80er-Jahre-Leichtigkeit, bleibt zwar stringent im Gang, aber orientierungslos Drumherum. Durchaus symptomatisch für das generelle Manko einer Platte, der für sich genommen die wirklich zwingenden Ideen fehlen, die wahrhaftig großen Momente, weil der letzte Schritt zur übermannenden Strahlkraft nie so recht gelingen will, man unfokussiert um die Kerngerüste der einzelnen Songs döst.
Was sich deswegen vom ebenso stimmungsvoll wie beliebig aufgelösten Arena-Gospel des Openers ‚Ladies And Gentlemen, Boys And Girls‚ inklusive pluckernden Midtempo und klassischen Sigur Ròs-Streichern (also eigentlich das ideale Intro für kommende Coldplay-Tourneen!) hinweg in einer ambivalenten Spannweite manifestiert – zwischen uninteressant dümpelnden Experimenten (die mäandernde Elektronikwelt ‚Hyperbole‚), kaum Eindruck hinterlassenden Percussion-Spielwiesen (‚The Crown Of Creation‚), durchwegs lieblichen Miniaturen (‚Filaphilia (A Tribute To Siggi Armann)‚) oder ästhetisch einnehmenden Synthiefeldern (‚Breakfast In The Himalayas‚), die sich vor allem auf ihre Ausstrahlung verlassen und sich dabei auch ganz bewusst in der Erinnerung an die Großtaten der isländischen Ausnahmeband sonnen, entwickelt ‚Circe‚ durchaus eine gewisse Faszination, bleibt aber stets eher im Hintergrund plätschern, denn packend umschließend. Ein bisschen wie nicht zu Ende gedachte Sigur Rós-Augenblicke.
Seine besten Momente hat ‚Circe‚ also ausgerechnet immer dann, wenn die 71 Minuten der Platte am dichtesten daran scheitern den eigentlichn Sigur Ròs-Songkatalog erwürdig zu erweitern. Die immanente Nahverwandschaft zur Hauptband wird abseits der atmosphärischen Dichte nämlich ohnedies spätesten dann unabstreitbar offenkundig, wenn ‚Torture‚ seine melancholisch repetierte Gitarrenfigur über unergründlich in die Tiefe gehenden Bass-Drones schickt und dabei wie ein zu langes Intermezzi wirkt, das die Verbindungsstücke zwischen ‚Valtari‚ und ‚Kveikur‚ zu sein versucht.
Welchen Trademarksound sich Holm und Dýrason mit ihrer Stammband eben alleine anhand minimalen Bewegungen erarbeitet haben, lässt sich dann auch ganz gut am Beginn von ‚Liquid Bread & Circuses‚ nachhören, die engelsgleiche Schönheit ‚TKO‚ könnte gar als Outtake-Skizze von Sigur Ròs durchgehen. Noch besser: ‚The Eternal Feminine‚ öffnet sich vom Klavierhocker für eine Szenario, das jenem von ‚Les Revenants‚ gleicht, bevor ‚Epilogue‚ mit Chören und Streichern nichts anderes als unmittelbar ergreifender Wohlklang in Reinform ist.
Mit zuviel Leerlauf zwischen diesen Highlights schafft es das phasenweise durchaus hochklassige ‚Circe‚ so zwar immer wieder eine assoziative Kraft zu entwickeln, das Kopfkino auch ohne die an sich dazugehörenden TV-Bilder auf Reisen zu schicken – sich in den oftmals unenetschlossen zwischen konkreten Formen und losen Ansätzen pendelnden Klangwelten derart zu verlieren will jedoch nie vollends gelingen, die Magie der „richtigen“ Sigur Ròs-Nummern (oder der bisherigen Soundtrack-Arbeiten der Band) lässt ‚Circe‚ leider vermissen. Als für sich stehender Soundtrack mit klaren Referenzanleihen dennoch eine schöne Erweiterung für Fans.
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