Alt-J – Relaxer
Wo This is All Yours die Entscheidungsfrage zwischen Pusher und Puller stellte, würde sich Relaxer nun gerne für den Drifter entscheiden: Alt-J lassen sich mal im Autopilot treiben und erforschen dann wieder meditativ gelöste Detailansichten neuer Perspektiven – scheitern aber vor allem durch den seltenen Einsatz der Brechstange an einem so stimmungsvollen wie zerfahrenen Drittwerk.
Es ist eine ambivalente Unausgewogenheit, die Relaxer bestimmt, und das Hipster-Trio aus Leeds im weiten Spektrum der Möglichkeiten taumeln lässt. Über gerade einmal 39 Minuten (diesmal gibt es eben keine Interludes) wollen Alt-J offenbar sowohl in eine regelrecht tranceartigen Akribie über ihre abgesteckten Hohheitsgebiete sinnieren, wie eine betont unverkopfte Fingerübung in Sachen Spontanität vorlegen – finden in dieser dualistischen Gangart letztendlich aber vor allem doch auch erstaunlich viel Komfortzone.
Deutlich mehr noch als An Awesome Wave (2012), diese originäre Songsammlung mit alle ihren Killerhits, sowie die nach Homogenität strebende Selbstverwaltung This is All Yours (2014), mit ihren vereinzelt aus der Reihe tanzenden Single-Anbiederungen, präsentiert sich Relaxer als zerrissenes Stückwerk, das im scheinbar mühelosen Wechselspiel für High- und Lowlights im Schaffen der Engländer sorgt.
Stärker als im bedächtig seine Zeit verlangenden, als erste Single vorauseilenden Opener 3WW wird Relaxer beispielsweise nicht wieder. Was aber insofern durchaus zu verschmerzen ist, da Alt-J auch selbst wohl ohnedies niemals besser war als in dieser sanftmütigen Schönheit von einem Song. Unheimlich sorgsam sind hier eine zerbrechliche Melodien, viel Gefühl und gefinkelte Studio-Kunstfertigkeit zu einem sphärisch überwältigenden Ganzen verwoben, dass die Spannweite vom Massive Attack’schen Trip Hop über die Downbeat-Indietronica-Schnittstelle zu den ätherischen Klangwelten des Artpop von Grizzly Bear mit einer traumwandelnd unwirklichen Eleganz, Komplexität und Geduld verbindet. Wie Relaxer zu seinem Titel gekommen ist, wird da schnell klar – der Einfluss von LSD ebenfalls.
Dazu festigt sich die Erkenntnis, dass Alt-J ihre Vorzüge längst dann am nachhaltigsten aufbereiten, wenn sie ihre Klasse nicht zu offensichtlich in das Formatradio drängen, sondern in der Balance aus mehr Direktheit und entspannterer Zurückhaltung ein gewisses Maß an Understatement walten lassen. Genau dorthin scheint Relaxer wachsen zu wollen.
Nachhören lässt sich das weniger im absolut schmissigen Ohrwurm In Cold Blood, der seine Dramatik quasi nebenbei bis zum rotierenden Casino-Hauptgewinn immer enger zieht, und auf Nummer sicher gehend den potenten Fanpleaser gibt – sondern eher ganz vortrefflich im grottigen Totalausfall Hit Me Like That Snare.
Nach forciertem Gestöhne servieren Alt-J ein gestelztes Amalgam aus Strokes-Rock und The Cramps-Geisterbahn für die japanische Karaokebar. Eine Penetranz, die mit ihrer scheppernden Lofi-Ästhetik wohl eine punkige Unkompliziertheit kokettieren möchte, letztendlich aber wie ein nervtötend hingerotzte Lieblosigkeit klingt, die zudem absolut ärgerlich aus dem Kontext fällt und für eine missverstandene Form von Energie jedwede Substanz vermissen lässt.
Der schwächste Song ihrer Geschichte, ein vermeintliches Zugeständnis an die Anhänger der hibbeligen Gangart, kostet Alt-J sogar das Erreichen ihrer Ambitionen: Ohne diese dreieinhalb Minuten wäre Relaxer sehr dicht dran, die Wandlung der Band hin zu einem subtileren und unaufdringlicheren Songwriting – weg vom Indierock, hin zum ambienten Folk – mit einer beachtlichen Hingabe auf Albumlänge zu vollziehen, dynamischer Variablen nichtsdestotrotz inklusive. So aber entsteht ein halbgarer Eindruck mangelnder Konsequenz.
Freilich: Sonderlich inspirierter als Hit Me Like That Snare ist vielleicht auch die davor eingeholte Aufarbeitung von House of The Rising Sun grundsätzlich nicht geworden – doch ergibt das Gespür der Band für dichte Atmosphäre und faszinierende Stimmungen in dem vereinnahmten Traditional ein rundes Ganzes, das dem irritierend knapp gehaltenen Gesamtfluss des weitestgehend angenehm unprätentiös plätschernden Relaxer durchaus in die Karten spielt. Hier scheint die Band den Charakter der Platte mit geschlossenen Augen zu umschmeicheln, anstatt ihn mit zappelnder Schläue zu verfäschen.
Inmitten dieser in der ersten Hälfte etablierten Extreme pendelt sich die restliche Platte schließlich gefällig aus, findet in einer nachdenklichen Zurückgenommenheit eine gewisse Wohlfühlzone.
Deadcrush (abermals mit 3WW-Kumpanin Ellie Rowsell) begnügt sich etwa damit, Alt-J by the numbers zu sein, hinterlässt kaum Eindruck und verarbeitet die Alleinstellungsmerkmale der Kombo doch souverän. Die balladesk perlende, später kristallin an Hans Zimmers Thin Red Line funkelnde Grazie Adeline legt sich mit ihren aufzeigenden Streichern dagegen umso weitläufiger in ihr elegisches Ambiente und hebt die Breitenwirkung von Alt-J auf eine höhere Ebene – all die „Jajajajajajaja„s vor dem perkussiven Schlusspart hätte man sich für die Verträglichkeit der Nummer hingegen durchaus sparen dürfen.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt beginnt sich Relaxer dann über unscheinbare Kleinode wie Last Year (ein wahlweise an der Langeweile oder minimalistischen Erhabenheit dösendes Folk-Konstrukt mit Marika Hackman und den zwischen den Texturen allgegenwärtigen Bläsern auf der Gästeliste) demonstrativ in seine entschleunigte Getragenheit zu legen, ist bis zu einem gewissen Grad auch immer ein wenig der Versuch möglichst nebensächlich aufzuwiegen, dass das Songwriting diesmal zwar vordergründig ohnedies in sich gekehrter und ruhiger ausgefallen ist, dahinter jedoch auch ein wenig beliebig schwadronierend nicht restlos zum Punkt finden will. Relaxer formuliert seine atmosphärische Qualitäten insofern ambitioniert aus, bleibt dabei aber ohne nötiges imaginatives Gewicht noch zu unausgegoren am Lippenbekenntnis.
Gerade das orchestrale Anschwellen im sakral-majestätischen, reichhaltig instrumentierten Closer Pleader suggeriert etwa eine überhöhte Größe, die da nur Arrangementtechnisch und von der Tiefenwirkung her, nicht aber unbedingt kompositorisch vorhanden ist. Lässt man sich auf Relaxer ein und in die Platte fallen, wird man zwar auch hier mit wunderbaren Szenen entlohnt, von deren Klangwelt man sich nur zu gerne passiv umspülen lässt – gleichzeitig lässt die Platte allerdings auch seltsam frustrierend in der Luft hängen, führt das Kopfkino zu keinen emotionalen Zielen: die anvisierte überwältigende Gänsehaut bleibt eine wohlige Fata Morgana.
Wo das obligatorisch konstruierte Finale auf die letzten Meter insofern noch versucht, Relaxer einen schlüssig zu Ende gedachten Spannungsbogen zu verpassen, verabschieden Alt-J aus ihrem dritten Anlauf nach gerade einmal acht Songs so jedoch vor allem unbefriedigend – und hinterlassen ratlos. Die Band hat das richtige Ergebnis vor Augen, erreicht es jedoch noch nicht, weil es anhand der falschen Bestandteile gebaut werden soll. Als Album wirkt Relaxer deswegen unfertig und überhastet – auf eine beschauliche, stille EP fokussiert und ohne etwaiges Schnellschuss-Beiwerk hätte allerdings furioses geleistet werden können. Vielleicht bringt sich Relaxer damit mehr als alles andere in die Position als Übergangswerk.
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