2017: 20 herausragende Kurzformate
Auch 2017 gab es abseits regulärer Studiolangspieler natürlich zahlreiche fantastische Kurzformate im Dunstkreis aus Mini-Alben, Singles und Split-Releases zu entdecken. Auf 20 besonders herausragende Highlights dieser Exemplare soll an dieser Stelle rückblickend noch einmal explizit hingewiesen werden.
Honorable Mentions | Kurzformate | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 |
Aesop Rock & Homeboy Sandman – Triple Fat Lice
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Ian Mathias Bavitz und Angel Del Villar II tun sich ein drittes Mal für ihre konzeptionellen EP-Geschenke mit Nonsense-Laus-Thematik zusammen. Hinter der technischen Rap-Finesse des praktisch ruhelosen Neo-Filmkomponisten und Dauer-Kooperationspartner Aesop Rock sowie seines New Yorker Kumpels Homeboy Sandman schlurfen die Beats unaufgeregt, klimpert das Piano, funkeln die Synthies und dängeln die Gitarren. Alles so unangestrengt aus dem Handgelenk geschüttelt, dass man gar nicht mitbekommt, was für ein nebensächliches Anti-Spektakel das mal wieder geworden ist.
Amber Arcades – Cannonball
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Annelotte de Graaf krönt das 2016er Debütalbum Fading Lines ihres Alias Amber Arcades mit einer traumhaften Vielseitigkeit: Nick Drake-Interpretationen (Which Will) verschmelzen wie selbstverständlich mit flotten Uptempo-Anachronismen, sphärischen Dreampop-Ahnungen und verführerischen Annäherungen an Ex-The Coral-Lenker Bill Ryder-Jones (Would’nt Even Know). Alleine wer 2017 den allgegenwärtigen Rampenlichtstehlern von Alvvays verfallen ist, sollte an diese fünf fabelhaften Tracks sein Herz verlieren.
David Bowie – No Plan
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Der Nachsatz zu Bowies Meisterwerk Blackstar von 2016: Drei neue Songs, die ursprünglich nur als Appendix zum Lazarus-Musical um Michael C. Hall und Cristin Milioti erschienen, später aber glücklicherweise auch seperat aufgelegt wurden. Wichtiger aber: Der Titeltrack, Killing a Little Time und When I Met You halten das herzzerreisende kunstvolle Niveau des unsterblichen Album-Mutterschiffs weitestgehend – auch auf der über den Tod hinausgehenden Metaebene. Von wegen No Plan.
Chavez – Cockfighters
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„Our goal with Chavez (was), it would be cool if 20 years from now those records still mean something. I think any good record is like a house: You can go in there and it has its own rules and you can enjoy and live in it.” erklärt Matt Sweeney den Ansatz der ersten beiden Chavez-Alben [amazon_link id=“B0000036U1″ target=“_blank“ ]Gone Glimmering[/amazon_link] (1995) und [amazon_link id=“B00000DW8P“ target=“_blank“ ]Ride the Fader[/amazon_link] (1996). Die grandiose Comeback-EP Cockfighters setzt ebenso exakt bei diesem Vorsatz dort an.
Cloud Rat – Split with Moloch
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Während eines schwachen Genrejahrgangs hätten Cloud Rat die Fahne des Grindcore notfalls auch im Alleingang konstant hochwertig hochgehalten – gerade auch dadurch, weil sich das Trio aus Michigan immer wieder mutig von seinen Wurzeln entfernt hat, experimentierte und chronisch über das rasende Momentum hinausgehend herausfordert. Der Split mit den Doomstern von Moloch ist dabei die gelungenste Split-EP einer Reihe von Veröffentlichung der Band in den vergangenen Monaten.
Crippled Black Phoenix – Horrifics Honorifics
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Essentiell geht vielleicht anders, aber Crippled Black Phoenix lieben und können Coverversionen – das weiß man man. Zumal die Band von Justin Greaves über ihr starkes 2016er-Werk Bronze aber auch zu alter Stärke zurückgefunden zu haben scheint, ist Horrifics Honorifics mehr als nur ein netter Fandienst. Das Ausgangsmaterial von Arbouretum, Swans, Magnolia Electric Co., Nomeansno, The God Machine und The Sensational Alex Harvey Band verleiben sich die britischen Progrocker enorm stimmig ein und schaffen damit eigenwillige Hybriden.
Crush – No Easy Way
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Die bereits so atemberaubend gestarteten Crush konzentrieren ihre Stärken im zweiten Anlauf noch einmal und erweitern dabei gleichzeitig ihren stilistischen Aktionsradius. No Easy Way muss sich insofern jedoch auch den Vorwurf gefallen lassen, dass drei unkaputtbare Instant-Ohrwürmer die Wartezeit auf das Debütalbum nicht gerade einfacher machen. Mit den so famosen Liveauftritten des Quintetts im Rücken kündigt sich jedoch an, dass sich jede einzelne Sekunde davon rentieren werden dürfte.
Curls – Vante
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Wie unsagbar frech Curls den Song Emotion als Eigenkomposition ausgeben, ist mit Sweet Jane im Hinterkopf natürlich eine der frechsten Gangsteraktionen des Jahres. Dass Christopher Owens damit ungeschoren durchkommt, hat natürlich auch nostalgische Gründe: Waren seine drei Soloalben allesamt nur bedingt berauschend, knüpft seine entspannt treibende neue Band (mit Cody Rhodes und Luke Baće) durchaus vielversprechend kurzweilig an das Erbe der bis heute vermissten Girls an.
Elder Devil – Graves Among the Roots
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Veröffentlichungen aus dem Umfeld von Jacob Lee darf man ungehört einsacken – mag es auch noch so viele davon geben. Neben Keeper, Skull Incision oder ¯\_(ツ)_/¯ erweisen sich Elder Devil diesbezüglich nicht als Ausnahme von der Regel, im Gegenteil: Mit dem wütenden Stephen B. (Cabin Fire) hat Lee hier einen unheimlich angepissten Rohdiamanten zwischen den Agressoren Crustpunk und Grindcore angerührt. Dynamisch, finster und heavy.
Hope Sandoval & The Warm Inventions – Son of a Lady
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Mazzy Star-Chanteuse Hope Sandoval und Colm Ó Cíosóig (My Bloody Valentine) bleiben im kongenialen Gespann eines der schönsten Geschenke, die dem folkigen Indie/Dreampop passieren konnte. Let Me Get There verzaubert in seiner intimen Akustikversion mit gedankenverloren traumwandelnder Stille, davor bewegen sich das vielleicht stimmungsvollste Duo seit [amazon_link id=“B00006ZSAD“ target=“_blank“ ]Beth Gibbons und Paul Webb[/amazon_link] mit einem unnachahmlichen Gespür für Atmosphäre und Nahbarkeit in ambiente Sphären vor, die phasenweise gar mit der nachtschweren Jazz-Entrücktheit von Bohren & der Club of Gore dösen.
Joseph of Mercury – Joseph of Mercury
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Verdammt, ist das cheesy! Aber wenn Posterboy Joseph W. Salusbury seine schmachtende 50er-Melodieliebe in triefende 80er-Synthiekleider legt, dann ist das darüber hinaus auch der feuchte Traum eines jeden Agenten, der die Schnittmenge aus Twin Shadow, Lower Dens, Future Islands, Perfume Genius und Chris Isaak sucht. Da passt es nur zu gut, dass Joseph of Mercury (bevor er sein eigenes Twin Peaks aus Plastik zu erbauen begonnen hat) bereits Credits im Hintergrund von Kollegen wie Majid Jordan oder Blood Orange geliefert hat.
Perturbator – New Model
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Produktionstechnisch ist James Kent auf New Model endgültig am Zenit angekommen. Zwingender, detaillierter und wuchtiger inszeniert aktuell niemand sonst Gebilde im Spannungsfeld aus assoziativ atmosphärischem Darkwave, treibendem Synth und elektronischer Industrialhärte. Dass die relative Kompaktheit des Formats hier Perturbator zusätzlich in die Karten spielt, macht die Sache nur noch besser. Die dezent generischen Vocals von OddZoo in Vantablack hätte es insofern letztendlich gar nicht für die generell zelebrierte Detailoptimierung gebraucht.
Ramesh – The Fool
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Rund um zahlreiche vorbereitende EPs haben Voxtrot gerade einmal ihr selbstbetiteltes Debütalbum hinterlassen. Das ist mittlerweile übrigens auch schon unglaubliche zehn Jahre alt. Ex-Frontmann Ramesh Srivastava zeigt auch auf dem Interims-Nachfolger zu seinem Soloalbum The King derweil, wohin die Reise für die heimlichen Indie-Lieblinge von einst hätte gehen können: Der romatische Titelsong sowie das flottere Revolution funkeln mit etwas mehr Synthie-Glanz, transportieren aber das selbe Gefühl für eingängige Melodien und liebenswerte Hooks wie damals. Nicht aufregend genug, um doch noch in die erste Reihe durchzustarten, aber man wird Ramesh weiterhin am Radar behalten.
Max Richter – The Leftovers: Music From The HBO Series Season 3
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Max Richter präsentierte sich 2017 hinsichtlich Produktivität und Qualität in überragender Form: Neben dem Tribut Three Worlds: Music from Woolf Works waren da unter anderem auch Soundtrackarbeiten für [amazon_link id=“B07594LRRW“ target=“_blank“ ]Taboo[/amazon_link], Guerrilla oder Hostiles. Am schönsten ist dennoch der schlanke, bisweilen unsagbar ergreifende Appendix für die finale Staffel von The Leftovers – ein viel zu gut behütetes Geheimnis übrigens, wenn es um die beste(n) Serie(n) der vergangenen Jahre geht.
Scour – Red
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Die Jarvis-Brüder Adam und John werkeln bereits mit Hochdruck am Nachfolger zum 2012er Pig Destroyer-Kraftakt Book Burner. Nach dem auf Grey folgenden Red ist die Vorfreude auf kommende Taten ihrer Allstar-Nebenbaustelle Scour aber sogar ähnlich hoch. Immerhin stemmt die Supergroup um Chase Fraser, Derek Engemann (Cattle Decapitation) sowie den in unglaublicher Form agierenden Weißweintrinker Phil Anselmo ihren reißenden Black Metal der Extraklasse mit jedem Mal noch furioser.
Slow – Mother Cetacean
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Die Grenzen zwischen all den Projekten von Markov Soroka verschwimmen, doch der Mann aus der Ukraine behält die Übersicht – und erweckt dafür notfalls auch Tote zum Leben. „For all those who it may concern; Slow is no more. The protagonist of the only album has found peace in his watery slumber, and that was the only purpose of this project.“ hieß es noch 2015. Zwei Jahre später ist Mother Cetacean der an den ambienten Doom-Ausläufern des Death gebaute Übergang zwischen Unsleep und der plötzlich wieder äußerst lebendigen Zukunft von Slow.
Sinmara – Within the Weaves of Infinity
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Immer wieder beachtlich, welche Fülle an musikalischen Kompetenzgrößen Island ausspuckt. In Sachen Black Metal untermauern Sinmara aus Reykjavik ihre nationale Genre-Vormachtstellung 2017 dabei gleich mit zwei Mini-Veröffentlichungen: Within the Weaves of Infinity ist um das Quäntchen besser, als der Splitbeitrag Ivory Stone. Gönnen darf man sich ruhig dennoch beide dieser nahtlos düster röchelnden Ungetüme.
Sleep Token – Two
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Gut, die Maskerade hinter der Musik ist natürlich ein billiges Gimmick. Und wo die Ausrichtung zwischen Progmetal und alternativerockigem Pop sicherlich auch nicht jedermanns Sache ist, müssen Sleep Token auch noch an der strukturellen Beschaffenheit ihrer (noch etwas vorhersehbar wandelnden) Songs arbeiten. Aber dahinter braut sich etwas zusammen, dass sich vage in das ätherische Amalgam aus frühen Dredg, Pain of Salvation, Snow Patrol oder Circa Survive bettet – eine faszinierend unkonventionelle Eigenwilligkeit.
Void Terror – Soul Harvest
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Wenn zwei überschaubare Tracks einer Demo genügen, um immensen Eindruck zu schinden und sich als eine der vielversprechendsten Aktien der kommenden Jahre zu positionieren, dann hat man wenig falsch gemacht: Void Terror sind ein Quartett aus Owensboro, Kentucky und spielen eine pechschwarze Melange aus Death, Doom und Black Metal – und legen mit Soul Harvest eben einen der pulverisierendsten Einstände des Jahres hin.
Kamasi Washington – Harmony of Difference
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Bandleader Kamasi Washington führt seine namhafte Musikerriege über 32 Minuten durch eine Wohlfühloase des eklektischen Jazz. Gerade in Relation zu seinem erschöpfenden Tripple-Mammutwerk The Epic (2015) zeigt sich dabei auch, dass Washington weniger progressiv und revolutionär agiert, als es ihm der (andere Konsens-taugliche Gallionsfiguren wie Ambrose Akinmusire oder Christian Scott aTunde Adjuah dabei auch geflissentlichen übersehende) Feuilleton gerne attestiert. Wohligere Grazien als diese sechs kontemplativ-bekömmlichen, wunderbar vital swingenden und in organische Produktions-Wärme gebettete Schönheiten musste man im Genre zuletzt allerdings auch erstmal finden.
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